Wie Corona die Italiener verändert
Die Corona-Pandemie hat bisher nicht nur mehr als 150000 Todesopfer in Italien gefordert. Sie hat auch viele Gewohnheiten verändert. Nach 19 Uhr sind die Straßen und Gassen der Hafenstadt Genua fast menschenleer. Viele Geschäfte haben ihre Rollläden heruntergelassen. Friseur Stefano, der seinen Salon seit 21 Jahren betreibt, macht manchmal schon um 16 Uhr zu. „Es kommt niemand mehr“, meint er achselzuckend. Vor allem ältere Kunden hätten Angst und erledigten das Nötigste am Vormittag. „Die lassen sich die Haare oft von ihren Frauen schneiden. Schauderhaft“, findet Stefano. Während die Restaurants normalerweise um 19 oder 20 Uhr öffnen und viele Genueser erst nach 21 Uhr zum Essen gehen, schließen nun etliche Gastronomen schon um 19 Uhr ab. Viele Gäste kommen früher und wollen bald heim. „Die haben sich im Lockdown wohl daran gewöhnt, früher zu essen“, vermutet ein Restaurantbesitzer. Junge Leute sitzen oft schon kurz nach 17 Uhr in Bars und Cafés beim „Apericena“, einer Art Aperitivo mit Leckereien und Cocktail.
Viele Kinos haben ihre Spätvorstellungen abgesagt. Bars, die vorher bis in den frühen Morgen voll waren, machten in den letzten Monaten schon um Mitternacht dicht, weil die Nachtschwärmer mangels Vergnügungsmöglichkeiten ausblieben. Vielleicht kommen sie nun nach dem Ende der Maskenpflicht im Freien und der Wiedereröffnung der Diskotheken, wieder zurück.
Es gibt auch andere Gründe für die veränderten Gewohnheiten. In den engen Gassen der riesigen Genueser Altstadt gedeiht nach 22 Uhr der Drogenhandel. Nigerianische und senegalesische Händler kämpfen aggressiv um Einflusszonen. Mehr Polizei soll für mehr Sicherheit sorgen, doch das wird schon seit Jahren versprochen – ohne dass sich viel geändert hätte.
Die Unsicherheit hat nicht nur in Genua zugenommen, sondern auch in vielen anderen Städten. In der Silvesternacht haben Jugendliche junge Mädchen am Mailänder Domplatz sexuell massiv bedrängt. Im beliebten Ausgehviertel an den Navigli wurde ein Polizist angegriffen. Straßengangs unterschiedlicher ethnischer Herkunft liefern sich regelmäßig Straßenkämpfe. Selbst Staatspräsident Sergio Mattarella ist besorgt über die Zunahme der Gewalt.
Polizist Teo Luzi spricht von einer tiefsitzenden sozialen Malaise. Die Pandemie habe die ökonomischen Gegensätze verstärkt. Viele Jugendliche, die monatelang nicht in die Schule gehen konnten, seien abgehängt worden und hätten die Schule verlassen. Besonders betroffen seien Zuwanderer und die zweite Generation von Zuwanderern, die oft in den Vorstädten leben und keine Jobs hätten. Zwar ist das Medianvermögen der Italiener etwa zwei- bis dreimal so hoch wie das der Deutschen – die Südeuropäer verfügen etwa über 4500 Mrd. Euro. Doch 40% haben keine Ersparnisse und leiden außer unter den Folgen der Corona-Pandemie unter der hohen Inflation. Vor allem in den Vorstädten von Metropolen wie Turin, Mailand, Rom oder Neapel ist die Situation angespannt.
Doch die Politiker haben sich angesichts der Präsidentenwahl Anfang Februar wochenlang Scharmützel geliefert, statt sich um die Lösung der Probleme zu kümmern. Viele Bürger wenden sich von der Politik ab. Die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen im Herbst lag in den Großstädten bei unter 50%.
Wer es sich leisten kann, zieht aufs Land. Um Genua herum sind kaum noch Häuser zu erschwinglichen Preisen zu finden. Die Bevölkerungszahl der Stadt ist seit den 70er-Jahren von 900000 auf 565000 geschrumpft. Mailand, das besonders stark unter der Corona-Pandemie gelitten hat, hat in den vergangenen zwei Jahren immerhin 18000 Einwohner verloren. Die Wirtschaftsmetropole, die in den 70er-Jahren noch 1,7 Millionen Einwohner zählte, schrumpfte bis 2003 auf 1,27 Millionen Einwohner und war dann bis 2019 wieder auf 1,4 Millionen gewachsen. Vor allem Familien mit Kindern verlassen die Stadt. Sie haben ihre Homeoffices teilweise weit weg aufgeschlagen. Geblieben sind Ältere, Singles und Ausländer. 22,4% der Mailänder sind über 65, rund 280000 sind Ausländer. Ägypter (41000) haben die Philippinen (40000) von Platz 1 verdrängt. Es folgen Chinesen (33000).