Tokio

Wieso Brad Pitt in Japan für Aufregung sorgt

Die in Japan beliebten Manga werden oft als minderwertiger Lesestoff abgetan. Dabei verfolgen die Autoren durchaus höhere Ansprüche als reine Unterhaltung.

Wieso Brad Pitt in Japan für Aufregung sorgt

Wenn japanische Frauen von „One Piece“ (wan pisu) sprechen, meinen sie ein einteiliges Kleid. Ganz anders ticken junge Männer in Japan: Sie denken dabei an das erfolgreichste Manga der Welt. Allerdings bevorzugen sie es cooler und sprechen von wanpi. 490 Millionen Stück seiner Serie hat Autor und Zeichner Oda Eiichiro verkauft, vier Fünftel davon in Japan. Das sind mehr Exemplare als die übrigen neun Titel in der ewigen Top-Ten-Liste der Manga-Bestseller zusammen.

Nach 25 Jahren und mehr als 100 Bänden zeichnet sich jetzt das Ende der Serie ab. Oda Eiichiro legte kürzlich erstmals eine Pause von einem Monat ein, um nach eigenen Angaben „das letzte Kapitel so schnell wie möglich zu beenden“.

„One Piece“ zählt zum Genre der Shonen-Manga für männliche Jugendliche und erscheint seit 1997 als Fortsetzungsgeschichte im Wochenmagazin „Shonen Jump“. Die Handlung ist übersichtlich: Der junge Pirat Monkey D. Luffy umsegelt mit seiner Strohhutbande eine fiktive Welt und besteht viele Kämpfe mit mächtigen Gegnern, um schließlich den Schatz des verstorbenen Piratenkönigs Gold Roger – das „One Piece“ – zu finden und dessen Nachfolge anzutreten. Ob es zu diesem Happy End kommt, werden wir jedoch erst gegen 2024 oder 2025 erfahren, wenn man dem Autor Glauben schenken will.

Die deutsch-japanische Zeichentrickserie „Wickie und die starken Männer“ habe ihn inspiriert, erzählt Oda. Pate gestanden habe der Manga-Klassiker „Dragon Ball“, der US-Cartoon „Tom & Jerry“ beeinflusste seinen Zeichenstil. Der Grund für den Dauererfolg dürfte jedoch woanders liegen: Über die spannenden Abenteuer hinaus übt die Piratensaga auch Gesellschaftskritik und setzt sich intensiv mit Moral und Philosophie auseinander.

Oda stellt Krieg, Sklaverei und Rassismus dar. Er greift Elemente der globalen Kulturgeschichte von den Dichtungen Homers über arabische Mythen bis zu amerikanischen Rappern auf. Man sieht: Die oft als minderwertiger Lesestoff betrachteten Manga verfolgen durchaus höhere Ansprüche als reine Unterhaltung.

Auf Deutsch erscheint „One Piece“ im Carlsen Verlag, der 100. Band ist im April veröffentlicht worden. Ein Bestseller in Deutschland könnte auch der japanische Thriller „Maria Beetle“ werden, der ebenfalls im April bei Hoffmann und Campe unter dem Titel „Bullet Train“ herausgekommen ist. Denn der gleichnamige Hollywood-Film mit Brad Pitt in der Hauptrolle ist vor zwei Wochen erfolgreich in deutschen Kinos angelaufen.

„Bullet Train“ versucht einen interessanten Spagat: Der Titel bezieht sich auf den japanischen Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen. Pitt spielt den vom Pech verfolgten Auftragskiller Ladybug, der auf einer Fahrt von Tokio nach Kyoto auf mehrere Arbeitskollegen trifft. Aber alle Szenen im Zug wurden außerhalb Japans gedreht, auch sind die meisten Schauspieler keine Japaner. Deswegen beschweren sich asiatisch-amerikanische Medien bereits über „White­washing“. Hollywood vergebe keine Hauptrollen an Japaner, da der Film dadurch angeblich kein Blockbuster werden könne, klagt ein Sprecher der Japanese American Citizens League.

Doch ähnlich wie bei „One Piece“ ist der japanische Bezug auch in der originalen Filmvorlage nur eher verschwommen zu erkennen. Romanautor Kotaro Isaka gibt sogar explizit zu, dass der japanische Originalkontext für den Film keine große Rolle spielen müsse. „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich möchte, dass die Zuschauer japanische Literatur oder Kultur verstehen“, sagte Isaka der „New York Times“ und fügte vermutlich ironisch oder scherzhaft hinzu: „Es ist ja auch nicht so, dass ich viel von Japan verstehe.“

Jedenfalls habe er immer davon geträumt, dass sein Roman mit seiner rasanten Handlung, den farbenfrohen Attentätern, den vielen Leichen, dem sadistischen jugendlichen Bösewicht und dem frechen Humor ein idealer Hollywood-Film werden könnte. In Japan wurden bereits 14 seiner 24 Romane verfilmt, die Werke von Isaka sind besonders in China und Korea populär. Mit „Bullet Train“ könnte dem 51-jährigen Erfolgsautor, der fünf japanische Literatur- und Krimipreise erhielt, nun der Durchbruch beim westlichen Publikum gelingen.

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