LEITARTIKEL

Wind of Change

Das hat es noch nie gegeben: Die Hauptversammlung hat dem amtierenden Vorstand eines Dax-Unternehmens, die Rede ist von Bayer, mehrheitlich die Entlastung versagt. Im Vergleich dazu kam der Bayer-Aufsichtsrat mit einem blauen Auge davon, sprachen...

Wind of Change

Das hat es noch nie gegeben: Die Hauptversammlung hat dem amtierenden Vorstand eines Dax-Unternehmens, die Rede ist von Bayer, mehrheitlich die Entlastung versagt. Im Vergleich dazu kam der Bayer-Aufsichtsrat mit einem blauen Auge davon, sprachen sich hier doch wenigstens zwei Drittel der Investoren für die Entlastung aus. Keine Frage, auch bei diesem Votum handelt es sich um ein historisch schwaches Resultat. Schlimmer geht jedoch immer, wie das Aktionärstreffen der Schweizer UBS nur wenige Tage später offenbarte. Dort konnten sich gerade noch 41,7 % der Aktionäre für die Entlastung der Führungsspitze erwärmen.Die Ergebnisse sind aus verschiedenen Gründen bemerkenswert: Erstens ist die Verwaltung aus der Vergangenheit anderes gewohnt. Abstimmungsergebnisse zu einzelnen Tagesordnungspunkten, die weniger als 90 % Zustimmung erhielten, gab – und gibt es übrigens bis heute – äußerst selten. Zweitens galt es bis dato als ungeschriebenes Gesetz, dass sich allenfalls aktivistische oder räuberische Aktionäre, die es auf den schnellen Euro abgesehen haben, in Frontalopposition üben. Nicht von ungefähr sorgten sich die Unternehmen vor einigen Jahren noch über die schwindende Präsenz bei den Aktionärstreffen, weil diese kleineren Aktionärsgruppen ein relativ großes Stimmgewicht zuteilwerden lässt. Diese Zeiten sind jedoch vorbei. Bei Bayer waren 65 % des Grundkapitals in der Hauptversammlung vertreten, bei der Schweizer Großbank sogar 76 %. Drittens standen in der Vergangenheit vornehmlich die Vergütungssysteme im Kreuzfeuer der Aktionärskritik. Zwar manifestierte sich auch bei Bayer und UBS Kritik an den Vorstandsgehältern, zumindest bei den Leverkusenern lag das jedoch weniger an der Höhe der Vorstandsvergütung.Die Zeiten haben sich geändert. Anders als früher sind institutionelle Investoren offensichtlich nicht mehr länger gewillt, blind mit den Vorschlägen der Verwaltung zu stimmen, auch wenn das mit mehr Arbeit verbunden ist. Der Grund liegt auf der Hand, müssen doch auch die Fondsmanager ihren Stakeholdern Rede und Antwort stehen. Unterstützung erfährt die Emanzipationsbewegung natürlich auch von der wachsenden Zahl an passiv gemanagten Fonds, die beispielsweise Aktienindizes nachbilden. Bis zu 40 % der von Institutionellen gehaltenen Aktien im Dax werden nach einschlägigen Studien inzwischen passiv gemanagt. Anders als es der Name vermuten lässt, sind diese Fonds allerdings höchst aktiv, wenn es um das Ausüben ihrer Stimmrechte geht. Denn im Gegensatz zu aktiven Fonds, die mit den Füßen abstimmen, – also Aktien aus dem Depot werfen – kann sich ein Fonds, der den Dax nachbildet, nicht einfach von den Aktien eines Dax-Wertes trennen. Von daher ist die Hauptversammlung der Ort, an dem der Fondsmanager Einfluss auf Management und Unternehmen ausüben kann.Der wachsende Anteil an passiv gemanagten Fonds geht Hand in Hand mit der zunehmenden Bedeutung der Stimmrechtsberater. Glass Lewis, ISS & Co sind zu ernst zu nehmenden Sparringspartnern großer Konzerne mit breiter Investorenbasis geworden. Sich – wie es Bayer getan hat – strikt gegen die Abstimmungsempfehlung auszusprechen, diese Haltung aber nur mit Allgemeinplätzen zu begründen, genügt schlichtweg nicht mehr. Naturgemäß sieht es bei börsennotierten Aktiengesellschaften mit Ankeraktionären anders aus. Bei diesen reicht es, sich im Vorhinein mit den Großaktionären, die in aller Regel im Aufsichtsrat vertreten sind, kurzzuschließen oder im Zweifel auf umstrittene Entscheidungen zu verzichten. So hat Metro 2016 am Tag vor der Hauptversammlung die Beschlussfassung über die Schaffung eines neuen genehmigten Kapitals kurzerhand von der Tagesordnung genommen. Henkel zollte in diesem Jahr der Forderung von Stimmrechtsberatern Tribut und setzte noch am Tag der Hauptversammlung einen Kapitalbeschluss, welcher der Zustimmung der Vorzugsaktionäre bedurfte, ab. Umgekehrt hatte Ceconomy dank der Unterstützung der Großaktionäre kein Problem, die umstrittene Entlastung der Vorstandsmitglieder durchzubekommen.Es ist unverkennbar, dass die Hauptversammlung als Instrument der Aktionärsdemokratie wieder aufgewertet wird. Von daher ist es höchste Zeit, dass auch die Unternehmen beginnen, begründete Kritik ernst zu nehmen. Die Hauptversammlung darf nicht länger als eine im Aktiengesetz vorgeschriebene Pflichtveranstaltung abgetan werden, in welcher der bisweilen lästige Anteilseigner ein heißes Würstchen abgreift. —-Von Annette BeckerHauptversammlungen sind längst keine Abnickvereine mehr. Darauf sollten sich die Unternehmen dringend einstellen.—-