Im BlickfeldBetrugsskandal

Wirecard-Strafprozess steht vor einer Wende

Im Mammut-Strafprozess um den Milliardenbetrug bei Wirecard zeichnet sich eine Wende ab. Nach dem Kronzeugen ist ein zweiter Angeklagter bereit zu gestehen. Das erhöht den Druck auf den Hauptangeklagten, Ex-CEO Markus Braun.

Wirecard-Strafprozess steht vor einer Wende

Im Blickfeld

Der Wirecard-Strafprozess steht vor einer Wende

Ein weiterer Angeklagter ringt mit einem Geständnis. Das erhöht den Druck auf Ex-CEO Markus Braun. Neue Enthüllungen um den untergetauchten früheren Vorstand Jan Marsalek machen den Firmenbankrott derweil zu einen Spionagethriller.

Von Stefan Kroneck, München

Der größte Betrugsprozess in der Wirtschaftsgeschichte Deutschlands tritt in eine entscheidende Phase. 17 Monate nach Beginn der Verhandlung vor der 4. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München I zeichnet sich in dem Mammutverfahren eine Wende ab. Ein zweiter der insgesamt drei Angeklagten ist bereit, ein Geständnis abzulegen. Es handelt sich um den ehemaligen Konzern-Chefbuchhalter Stephan von Erffa. Bislang schwieg dieser vor Gericht. Nun ist er aber bereit, umfassend auszusagen.

Vor Ostern berichtete der Vorsitzende Richter Markus Födisch über ein Gespräch mit Erffas Rechtsbeiständen und der Staatsanwaltschaft. Födisch sicherte dem Angeklagten im Fall eines zeitnahen Geständnisses einen Strafnachlass zu. Für ihn liefe es auf eine geringere Haftstrafe hinaus.

Griff in die „Trickkiste“

In der Causa greift das Gericht in eine übliche „Trickkiste“. Födisch nutzt das Instrument eines sogenannten Deals, um ein langwieriges Verfahren zu verkürzen. Dieses Mittel der Justiz ist in der Spieltheorie unter dem Namen Gefangenendilemma bekannt. Es hilft, wenn es in einem Prozess – wie bei Wirecard – mehrere Angeklagte gibt. Geständnisse zahlen sich für die Betroffenen aus, wenn sie sich auf diesem Weg besserstellen als andere Mitangeklagte, die die Taten abstreiten. Das heißt, dass geständige Personen ihre drohende Strafe reduzieren können.   

Sollte von Erffa tatsächlich umschwenken, würde sich die ohnehin missliche Position des Hauptangeklagten, Ex-CEO Markus Braun, weiter verschlechtern. Denn bisher stützen sich die Tatvorwürfe der Münchner Strafermittler überwiegend auf Aussagen und Beweismittel des mitangeklagten Kronzeugen Oliver Bellenhaus. Der frühere Wirecard-Konzernstatthalter in Dubai gestand bereits während der Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft und abermals zu Prozessauftakt die Straftaten. Er trug wesentlich dazu bei, dass das Verfahren ins Rollen kam.

Schwere Tatvorwürfe

Ein Geständnis Erffas nach mehr als 114 Verhandlungstagen ist von großer Bedeutung, da in diesem Fall erstmals ein Ex-Manager aus der Konzernzentrale Einblicke in die kriminellen Machenschaften vor Gericht geben würde.

Braun streitet nach wie vor die Tatvorwürfe ab. Er hält sich für unschuldig. Er sieht sich als Opfer, hinter dessen Rücken betrogen worden sei. Seine Version geriet zuletzt aber immer stärker ins Wanken, je mehr Zeugen vor Gericht aussagten und Belege vorlegten.

Das Trio steht seit Anfang Dezember 2022 vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft legte den dreien gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Untreue zur Last. Aufgrund der Höhe des ermittelten finanziellen Schadens von 3,2 Mrd. Euro für Gläubiger (Banken, Finanzinvestoren) droht ihnen eine mehrjährige Freiheitsstrafe. Im Fall von Braun sind es vermutlich über zehn Jahre.

Einer packt bisher aus

Bellenhaus berichtete, jahrelang Transaktionen in Asien im Rahmen eines sogenannten Drittpartnergeschäfts in Abstimmung mit von Erffa und dem flüchtigen Ex-Vertriebsvorstand Jan Marsalek gefälscht zu haben, um die Bilanz nach außen deutlich besser dastehen zu lassen, als sie wirklich war. Dadurch erschlich sich Wirecard Kredite. Braun war laut Bellenhaus der Kopf der Bande.

Als nach einer Sonderuntersuchung von KMPG im Frühsommer 2020 die Sache aufflog, kollabierte der Zahlungsabwickler aus Aschheim bei München. Von Wirecard angegebene Treuhandkonten von 1,9 Mrd. Euro in Asien erwiesen sich als Luftbuchung. Es war die erste Insolvenz eines Dax-Unternehmens.

Zweifel des Gerichts

Nach der bisherigen Beweisaufnahme schenkt das Gericht Brauns Version keinen Glauben. Während die Strafkammer von Erffa 2021 aus der Untersuchungshaft entließ sowie Bellenhaus im Januar nach dreieinhalb Jahren unter strengen Auflagen, sitzt der ehemalige Vorstandsvorsitzende mit österreichischem Pass weiter in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim. Braun befindet sich seit seiner Festnahme im Juli 2020 im Gefängnis. Das Gericht begründete dies mit einer Flucht- und Verdunkelungsgefahr beim Hauptangeklagten. Letzteres weist darauf hin, dass Braun nach Ansicht der Justiz außerhalb des Gefängnisses versuchen könnte, Zeugen zu beeinflussen. Zudem ist der Verbleib eines Teils seines Vermögens unklar.

Bemerkenswert ist immerhin, dass er sein Aussageverweigerungsrecht ablegte. In seiner Vernehmung vor Gericht verstrickte sich der Ex-CEO allerdings rasch in Widersprüche. Einerseits will er von den Machenschaften nichts gewusst haben, andererseits wird er von vielen Zeugen als Kontrollfreak und Allwissender dargestellt, dem bei Wirecard nichts entging. Das passt nicht zusammen.

Manko für Wahrheitsfindung

Allein aufgrund seiner herausgehobenen Führungsrolle im Unternehmen trägt er die Hauptverantwortung für den Schaden. Als CEO unterzeichnete er die Wirecard-Geschäftsberichte bis einschließlich 2018. Für 2019 verweigerte der Abschlussprüfer EY das Testat, als die Betrugshinweise sich verdichteten. Die Schuld gibt Braun derweil anderen. Vor allem jener Person, die sich seit dem Zusammenbruch des Unternehmens auf der Flucht befindet: der ebenfalls aus Österreich stammende Jan Marsalek. Dieser soll sich in Russland versteckt halten. Im Juli vergangenen Jahres sorgte der frühere Intimus von Braun für eine Posse vor Gericht. In einem über einen Anwalt zugestellten Schreiben an die Strafkammer behauptete dieser, die Aussagen von Bellenhaus seien falsch und die Hintergründe lägen woanders. Belege legte er keine vor. Marsalek steht auf den Fahndungslisten des Bundeskriminalamts und von Interpol ganz oben. Födisch lehnte den Brief als nicht verwertbar ab. Brauns Rechtsbeistände aber meinten, das Schreiben würde ihren Mandanten entlasten.

Unglaubwürdig

Erschwerend für sie ist aber, dass Marsalek unglaubwürdig ist. Seit Monaten sickert immer mehr durch, dass dieser bereits während seiner Tätigkeit bei Wirecard für Russland spioniert haben könnte. Marsaleks Aktivitäten für den Putin-Staat sorgten zuletzt in Österreich für einen Skandal: Ein Polizist, der mit Aushorchdiensten seine Kompetenzen überschritten hatte, soll auch Kontakt zu ihm gehabt haben.

Der womöglich im Machtbereich des russischen Autokraten gut verdrahtete Marsalek ist für die deutsche Justiz nicht greifbar. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser sich vor dem Landgericht München verantworten muss, ist nach derzeitigem Stand gering.

Berufung wahrscheinlich

Dies ist ein Manko für die Strafkammer. Es beeinträchtigt die juristische Aufarbeitung der Causa und damit die Wahrheitsfindung. Solange die Angeklagten nicht rechtskräftig verurteilt sind, gilt für sie die Unschuldsvermutung. Sollte Braun an seiner Verteidigungsstrategie festhalten, könnte er gegen ein Urteil Berufung einlegen. Das Gerichtsverfahren, das womöglich 2025 endet, würde in die nächste Instanz gehen. Wirecard wird die Öffentlichkeit noch lange in Atem halten.