KommentarForward Guidance

Zeit zu schweigen für die EZB

Die EZB lässt sich zum künftigen geldpolitischen Kurs kaum in die Karten schauen. Das ist vernünftig.

Zeit zu schweigen für die EZB

Geldpolitik

Zeit
zu schweigen

Von Martin Pirkl

Mit Spannung haben Anleger und Ökonomen darauf gewartet, welche Signale von den Zinsentscheiden der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Fed für den weiteren geldpolitischen Kurs im Herbst ausgehen. Sie wurden enttäuscht. Weder die Währungshüter der Eurozone noch die der USA wollten eine weitere Zinserhöhung im September ausschließen oder ankündigen. Sie halten sich beide Optionen offen – und das ist richtig so. Selten war der Ausblick auf Inflation und Konjunktur so neblig wie derzeit.

Die Kerninflation als Gradmesser für den zugrunde liegenden Preisdruck im Euroraum ist hartnäckig hoch, doch die kaum noch steigenden Erzeugerpreise deuten auf eine Entspannung bei der Teuerung hin. Die Gesamtrate sinkt kontinuierlich, doch ist sie weiter deutlich vom Inflationsziel der EZB entfernt. Laut den Inflationserwartungen von Verbrauchern und Ökonomen wird dieses Ziel auch im kommenden Jahr noch nicht erreicht. Offen ist auch, wie stark die bereits erfolgten Zinserhöhungen von nun insgesamt 425 Basispunkten seit Juli 2022 die schwächelnde Konjunktur der Eurozone noch abbremsen.

Uneinigkeit im EZB-Rat

Wie divers die Ansichten im EZB-Rat über den künftigen geldpolitischen Kurs derzeit sind, zeigt sich auch daran, dass es selbst innerhalb der Lager unterschiedliche Einschätzungen gibt. Der niederländische Notenbankchef Klaas Knot gehört eigentlich zu den Hardlinern. Vor rund einer Woche sagte er zu weiteren möglichen Zinserhöhungen: „Für Juli denke ich, dass es eine Notwendigkeit ist. Für alles, was über Juli hinausgeht, wäre es allenfalls eine Möglichkeit, aber keinesfalls eine Gewissheit.“

Ebendiese Gewissheit über den richtigen geldpolitischen Kurs fehlt nicht nur Knot, sondern allen Ratsmitgliedern angesichts der Unsicherheiten über die Entwicklung der Inflation und der Konjunktur. Daher ist es richtig, jetzt erstmal abzuwarten, wie sich diverse Wirtschaftsdaten bis zum Herbst entwickeln. „Wenn nicht klar ist, wohin die Reise geht, kann man keine Forward Guidance betreiben“, hatte Bundesbank-Chefvolkswirt Jens Ulbrich jüngst treffend gesagt.

Ganz bedeckt hielt sich Lagarde am Donnerstag jedoch nicht. Sie machte deutlich, dass Zinssenkungen absehbar kein Thema sein werden und eine etwaige Zinspause im September nicht automatisch das Ende des Zinszyklus wäre. Diese Erwartungen an den Finanzmärkten zu zerstreuen ist wichtig. Würden sich die Finanzierungskonditionen aufgrund einer erwarteten Zinssenkung lockern, ginge der Kampf gegen die hohe Inflation länger, als es sein müsste.

Die EZB lässt sich zum künftigen geldpolitischen Kurs kaum in die Karten schauen. Das ist vernünftig.

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