LEITARTIKEL

Zeitgemäße Aktionärstreffen

Die Hauptversammlungssaison ist gerettet. Die Bundesregierung hat rasch auf die Coronakrise reagiert und das Aktienrecht angepasst. Nun können Unternehmen ihre Aktionärstreffen virtuell abhalten und die physische Präsenz ausschließen. Zudem kann die...

Zeitgemäße Aktionärstreffen

Die Hauptversammlungssaison ist gerettet. Die Bundesregierung hat rasch auf die Coronakrise reagiert und das Aktienrecht angepasst. Nun können Unternehmen ihre Aktionärstreffen virtuell abhalten und die physische Präsenz ausschließen. Zudem kann die Versammlung nach der gesetzlichen Frist von acht Monaten abgehalten werden, so dass bei Abflauen der Pandemie später im Jahr auch Präsenzveranstaltungen möglich würden – was vermutlich viele bevorzugen. Wer in der Rechtsform der SE steckt, dem bleibt nach EU-Recht indes nach wie vor nur das Zeitfenster der ersten sechs Monate. Die Gesellschaften können nun ebenfalls ohne entsprechende Satzungsregelung einen Abschlag auf den Bilanzgewinn an ihre Aktionäre zahlen, um vorab zumindest einen Teil der Dividende auszuschütten. Die neuen Möglichkeiten sind ausdrücklich auf 2020 begrenzt, können jedoch bis Ende 2021 verlängert werden, falls dies wegen der Pandemie geboten erscheint. Die befristete Anpassung des Gesetzes ist ein Schnellschuss in einer Extremsituation. Gleichwohl ergeben sich Anknüpfungspunkte, um über tradierte Regelungen nachzudenken und die Aktionärstreffen zu entstauben. Das sollte Überlegungen für Interimsdividenden einschließen.Die Hauptversammlung ist als “Rentnertreffen” in die Jahre gekommen, hat aber dennoch hohe Relevanz für Investoren, weil sie Unternehmensvertreter nur dort in die Konfrontation zwingen können. Das Fragerecht ist ein wichtiges Gut und wird seit einigen Jahren von institutionellen Anlegern aktiver genutzt. Denn nicht nur Unternehmen, auch Investoren stehen zunehmend unter Rechtfertigungsdruck und müssen auf gute Governance hinwirken. Dennoch mischt sich immer noch eine große Anzahl an Büttenrednern in die Generaldebatte, was am Zweck der Versammlung vorbeigeht. Sinnlose Geduldsproben ergeben sich auch, wenn professionelle Verteidiger von Minderheitsrechten mit tausend Fragen aufwarten, um sich für Spruchverfahren oder Anfechtungsklagen zu munitionieren. Energisches Nachhaken kann selbstverständlich mehr als berechtigt sein, um wertvernichtenden strategischen Fehlentscheidungen von Vorstand und Aufsichtsrat Einhalt zu gebieten oder gar “räuberischen Großaktionären” das Handwerk zu legen. Doch es sollte keine Zermürbungstaktik geben.In der aktuellen Corona-Gesetzgebung hat die Bundesregierung das Fragerecht der Aktionäre zur Bedingung für eine virtuelle Versammlung gemacht, sie gibt dem Vorstand jedoch erheblichen Spielraum für die Beantwortung. Zahlreiche Unternehmen haben es bislang vermieden, Aktionärstreffen online anzubieten. Sie befürchten, dass sich noch mehr Aktionäre ohne nennenswerten Stimmrechtsanteil zur Selbstdarstellung berufen fühlen, wenn ihr Auftritt nicht nur im Saal erlitten werden muss, sondern weltweit im Internet übertragen wird. Aus diesem Grund beenden die meisten Konzerne bislang die Reality-Show nach den Reden von Vorstands- und Aufsichtsratschef. Das ist nachvollziehbar, aber in der fortschreitenden Digitalisierung nicht mehr zeitgemäß.Der Gesetzgeber hat das Problem erkannt. In der temporären virtuellen Variante darf der Vorstand nach “pflichtgemäßem, freien Ermessen” entscheiden, welche Fragen er beantwortet. Er kann zudem vorgeben, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vorher elektronisch eingereicht werden. In der Gesetzesbegründung wird klargestellt, dass die Aktionäre zwar fragen dürfen, ihnen aber kein Auskunftsrecht eingeräumt wird. Die Verwaltung habe keinesfalls alle Fragen zu beantworten, könne sinnvolle Fragen auswählen und Aktionärsvereinigungen und institutionelle Investoren mit bedeutenden Stimmanteilen bevorzugen. Damit hat der Vorstand relativ freie Hand – was erwartungsgemäß bei Investoren auf Bedenken stößt.——Von Sabine WadewitzDie virtuelle Hauptversammlung ist auf die Coronakrise begrenzt, doch die Praxis von Aktionärstreffen sollte längerfristig modernisiert werden. ——