Ampel-Koalition

Zu schnell für gründlich

Die angehende Ampel-Koalition hat sich für Schnelligkeit vor Gründlichkeit entschieden. Vieles bleibt vage und kann das Bündnis destabilisieren.

Zu schnell für gründlich

Geht alles nach den Wünschen der künftigen Koalitionäre von SPD, Grünen und FDP, kann in der kommenden Woche Olaf Scholz (SPD) zum neuen Bundeskanzler gewählt werden. Das Interregnum einer geschäftsführenden, aber nicht mehr aktionsfähigen Regierung ist dann beendet. Die Ampel-Koalition darf loslegen. Dazwischen liegt noch die Ungewissheit der Parteitage von SPD und FDP sowie die Mitgliederbefragung der Grünen. Dass sich viele der Beteiligten noch in der Rolle der Regierungsparteien zurechtfinden müssen, hat das Personaldebakel um die Ministerposten bei den Grünen kurz nach Abschluss des Koalitionsvertrags gezeigt. Der überraschende Flügelkampf, der schon der Geschichte anzugehören schien, hat das Vertrauen in die Führungskraft der Parteichefs und künftigen Regierungsmitglieder, Annalena Baerbock und Robert Habeck, nicht gerade gestärkt. Die Urabstimmung bei den Grünen wird dadurch unwägbarer. Bei der SPD fordert eine kleine Gruppe Berliner Parteimitglieder das Bundesfinanzministerium von FDP-Parteichef Christian Lindner für die Sozialdemokraten zurück, so als könne man die ausgeklügelte Arithmetik der Ressortverteilung unter den Koalitionspartnern noch einmal schnell auf den Kopf stellen. Dass die SPD noch keine Namen für die Minister der sozialdemokratisch besetzten Ressorts genannt hat, ist wohl mehr Taktik als die hehre Konzentration auf Inhalte. Was nicht bekannt ist, kann auch nicht zerredet werden. Vor allem hat die SPD-Basis darüber nicht mehr mitzureden – anders als bei den Grünen. Hilfreich wäre inmitten einer Pandemie allerdings schon die zügige Besetzung des Gesundheitsministeriums.

Das Tempo der Koalitionsverhandlungen ist nur beeindruckend, wenn es am Versuch des Jahres 2017 gemessen wird, ein komplexes Dreierbündnis zu schmieden. Frühere Koalitionen schafften es vielfach noch im November, den Kanzler zu wählen. „Schnelligkeit vor Gründlichkeit“ als Devise mag dem Projekt überhaupt nur zum Gelingen verholfen haben, weil vage Ausformuliertes Spielraum für Interpretation lässt. Was im Koalitionsvertrag nicht bereits fix verhandelt ist, muss allerdings im Lauf der Legislaturperiode geklärt werden. Die Koalition wird dadurch störanfälliger. So war der erste rot-grüne Koalitionsvertrag 1998 unter Gerhard Schröder (SPD) eng gefasst. Rot-Grün zog umgehend nach ihrem Start eine große Steuerreform aus der Schublade, die zügig umgesetzt wurde. Der zweite Koalitionsvertrag 2002 war nur noch luschig verhandelt, nachdem das Bündnis zu seiner eigenen Überraschung erneut die Wahl gewann und unvorbereitet war. Die Legislaturperiode endete schon nach drei Jahren in einem Desaster für die SPD und mündete in Neuwahlen 2005. Schnelligkeit vor Gründlichkeit hat auch andere Tücken. So finden sich im Koalitionsvertrag Dubletten. Wortgleich wird an zwei Stellen eine flexibilisierte Grunderwerbsteuer für den leichteren Erwerb selbst genutzten Wohneigentums ankündigt. Zur Gegenfinanzierung sollen Steuervorteile durch Share Deals beim Immobilienerwerb von Konzernen unterbunden werden – so als sei die Novelle der vergangenen Legislaturperiode an der Ampel vorbeigegangen. Den Koalitionspartnern ist zu wünschen, dass sie in dem 178 Seiten starken Koalitionsvertrag nicht selbst noch nachträglich von Passagen überrascht werden.

Vage bleibt die Koalition auch in ihren Vorhaben. Investitionen besonders in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie Infrastruktur sollen die Zukunft einer nachhaltig aufgestellten deutschen Wirtschaft und der dort Beschäftigten sichern. Besonders für die FDP ist es wichtig, dass dies „im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse“ geschehen wird. Wenig diskutiert wird bislang, wie die FDP in die zahlreichen Umgehungsinstrumente um die Schuldenbremse einwilligen konnte: die Zweckentfremdung von Notlagen-Krediten aus der Coronakrise für den politischen Wunschzettel der Ampel, die Streckung von Tilgungsfristen zulasten künftiger Generationen, die Verlagerung von Ausgaben und Aufgaben in Schattenhaushalte. Die Staatsquote ist – unabhängig von der Pandemie – in den vergangenen Jahren gestiegen. Dies gilt auch für die anteiligen Sozialausgaben des Bundes am Gesamtbudget. Dies hätte sich normalerweise in den langen Jahren der Hochkonjunktur zurückbilden müssen. Die Erhöhung des Mindestlohns ist ein finanzielles Geschäft zulasten Dritter. Als Bundesfinanzminister stehen Lindner, der im Übrigen noch nie einen großen Beamtenapparat geführt hat, heftige Kämpfe bevor, wenn die FDP Kurs halten will. Er wird starke Staatssekretäre an seiner Seite als Sekundanten brauchen.

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