Rohstoffmärkte

Zur nächsten Finanzkrise

Der Ukraine-Krieg und die Sanktionen gegen Russland können schwerwiegende Folgen für die Rohstoffmärkte haben und sogar zu einer neuen Weltfinanzkrise führen.

Zur nächsten Finanzkrise

An den Rohstoffmärkten hat es seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs und der Verhängung harter Sanktionen gegen Russland bereits erhebliche Turbulenzen gegeben. Der Brent-Ölpreis kletterte bis auf 139 Dollar je Barrel, womit er sich seinem Allzeithoch annäherte. Der Nickelpreis sprang über 100000 Dollar je Tonne, was zu so erheblichen Problemen führte, dass der Handel in London für eine Woche eingestellt werden musste. Rekordniveaus verzeichnete auch europäisches Erdgas. Zahlreiche weitere Rohstoffe legten ebenfalls stark zu.

Seither hat zwar eine gewisse Beruhigung an den Rohstoffmärkten stattgefunden. Dabei dürfte es sich allerdings nur um ein zeitweiliges Phänomen handeln, weil einerseits die durch den Krieg und die Sanktionen ausgelöste Knappheit noch nicht voll auf die Märkte durchschlägt und andererseits Russland als ein Schwergewicht auf vielen Rohstoffmärkten noch nicht zu Gegensanktionen ausgeholt hat – womit aber zu rechnen ist, je mehr die restlichen Sanktionen die russische Wirtschaft belasten. Dies führt zu ganz erheblichen Risiken für die Rohstoffmärkte und die auf ihnen agierenden Marktteilnehmer und in der Folge auch für das weltweite Finanzsystem.

Vor kurzem hat bereits die European Federation of Energy Traders (EFET) als Verband von Energiekonzernen und Handelshäusern einen Brandbrief geschrieben. Sie macht auf die enormen Nachschusspflichten für Marktteilnehmer an den Terminbörsen aufmerksam, die sich aus den Preisturbulenzen und Verknappungen ergeben. In zwei Fällen sahen sich prominente Handelshäuser bereits gezwungen, sich Liquidität zu beschaffen, wobei die EFET beklagt, dass selbst wirtschaftlich gesunde Marktteilnehmer Schwierigkeiten hätten, Zugang zu Liquidität zu erhalten.

Zu den auf den ersten Blick harmloseren Folgen dieser Misere gehört, dass, wie Finanzchef Christophe Salmon vom großen Handelshaus Trafigura warnt, eine weitere Konsolidierungswelle in der Branche ausgelöst wird und kleinere Marktteilnehmer verdrängt werden. Wobei Konsolidierung aber eben auch bedeutet, dass eine Reihe von Akteuren schlicht kollabiert. Dies könnte schwerwiegende Folgen auch für deren Kreditgeber, vor allem Banken, haben. Die EFET geht daher so weit, Liquiditätshilfen für die Marktteilnehmer zu fordern. Mit anderen Worten: Erstmals seit der Finanzkrise von 2008 soll es damit wieder staatliche Rettungsaktionen für Finanzmärkte geben, weil die Funktion der europäischen Energiemärkte gefährdet sei. Die Risiken würden stark steigen, falls die EU-Regierungen weitere Sanktionen gegen russisches Gas, Öl und Kohle verhängen, so die EFET, weil diese zu „dramatischen Anstiegen“ der Energiepreise führen würden.

Die Folgen könnten aber weit über die Energiemärkte hinausreichen, weil die Sanktionen auf das weltweite Finanzsystem destabilisierend wirken, durch den Entzug von mehr als 400 Mrd. Dollar an Währungsreserven und den Ausschluss eines größeren Teils der russischen Banken vom internationalen Zahlungssystem Swift. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die weltweite Finanzindustrie wegen der allerorten enormen Verschuldung ein hohes Leverage aufweist und das weltweite Finanzsystem derzeit mit hohem Tempo umgebaut wird, da sich wichtige Länder wie China und Indien rasch vom Dollar als Handelswährung trennen und sich aus dem Einflussbereich des Westens entfernen wollen – was für zusätzliche Instabilität während der Transformation sorgt.

Was das weltweite Angebot und damit das Preisniveau von Energieträgern betrifft, so gibt es neben neuen Sanktionen weitere Gefahren, beispielsweise in Gestalt von Angriffen der jemenitischen Huthi-Milizen auf die saudi-arabische Ölinfrastruktur oder eines Scheiterns der amerikanisch-iranischen Verhandlungen. Vor allem aber ist fast mit Gewissheit davon auszugehen, das Russland zum Mittel der Gegensanktionen greifen wird. Diese werden aller Voraussicht nach geschickt eingesetzt, wie der jüngste russische Schachzug der Umstellung der Bezahlung für russische Gaslieferungen vom Euro auf den Rubel erwarten lässt: Verweigern die europäischen Regierungen die mit der Umstellung verbundene Aufgabe eigener Sanktionen, schneiden sie sich quasi selbst vom Gas ab.

Wenn sich diese Gefahren manifestieren, könnte der Ukraine-Krieg nicht nur als eine große europäische Tragödie in die Geschichte eingehen. Er könnte auch zum Auslöser der nächsten großen Weltfinanzkrise werden.

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