LEITARTIKEL

Zwang zur Abrüstung

Was Rüstungsgegner erfreut, ist für die Waffenschmieden des Westens bereits Indikator einer Branchenkrise: Erstmals seit der Jahrtausendwende haben die Staaten 2012 weltweit weniger Geld für Rüstung ausgegeben als im Vorjahr. Nach Berechnungen des...

Zwang zur Abrüstung

Was Rüstungsgegner erfreut, ist für die Waffenschmieden des Westens bereits Indikator einer Branchenkrise: Erstmals seit der Jahrtausendwende haben die Staaten 2012 weltweit weniger Geld für Rüstung ausgegeben als im Vorjahr. Nach Berechnungen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri schrumpften die Militärausgaben global um 0,5 % auf 1,75 Bill. Dollar, was immer noch eine beachtliche Summe darstellt.Für die Rüstungsindustrie geht eine Dekade steigender Militärausgaben zu Ende. Es zeichnet sich ab, dass auch 2013 und in den folgenden Jahren ein Rückgang zu verbuchen sein wird, der sich sogar beschleunigen könnte. Denn die westlichen Industrienationen stehen unter starkem Druck, wegen der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise drastisch zu sparen. Die Ausgabenkürzungen treffen auch die Militärbudgets empfindlich.Bisherige Topkunden der Branche, wie etwa das krisengeschüttelte Spanien und Griechenland, sind klamm und fallen auf längere Sicht aus. Der Rückzug der Nato aus Afghanistan bringt einen zusätzlichen Dämpfer, versiegen doch damit Einnahmequellen aus bisher üppigen Beschaffungsaufträgen wegen des Einsatzes am Hindukusch. Beispiel USA: Die westliche Führungsmacht, die allein mit über 800 Mrd. Dollar jährlich zuletzt fast die Hälfte aller weltweiten Rüstungsausgaben ausmachte, streicht sukzessive den Verteidigungshaushalt zusammen. Der anhaltende Budgetstreit zwischen Demokraten und Republikanern erhöht den Sparzwang. Während Russland und China aufrüsten, trüben sich die Aussichten der Branche im Westen ein. Das Spardiktat der Regierungen zwingt die Konzerne abzurüsten.Die Rüstungslobby läuft gegen die Maßnahmen Sturm. Wie bei anderen Branchen wird reflexartig mit dem Verlust von Arbeitsplätzen gedroht, wenn es nach Lesart der Unternehmen ans Eingemachte geht. Allerdings sind die Einschnitte im Verhältnis zu den zuvor über die Jahre aufgeblähten Rüstungsetats bisher marginal. Die Branche beklagt sich auf hohem Niveau. Obgleich einige US-Konzerne wie etwa Branchenprimus Lockheed Martin Einsparungen vornehmen und Personal abbauen, pocht das Gros der amerikanischen Rüstungsgiganten auf den Status quo ante. Denn die Branche verfügt über ein starkes Gewicht in der US-Wirtschaft. Das schafft gegenüber der Politik Druckpotenzial. Sieben der weltweit zehn größten Rüstungsunternehmen stammen aus den USA. Dieses Septett (Lockheed Martin, Boeing, General Dynamics, Raytheon, Northrop Grumman, L-3 Communications und United Technologies) kommt auf einen Jahresumsatz von zusammen 170 Mrd. Dollar.Sie zehren vorerst weiter vom Boom vergangener Jahre, sind Militäraufträge doch langfristig angelegt. Die Folgen staatlicher Sparzwänge machen sich zunächst nur bei Neuaufträgen bemerkbar, nicht aber sofort bei den Umsätzen und den Ergebnissen. So hoffen einige Unternehmen, mit einer Taktik des Abwartens über die Runden zu kommen. Das kann sich aber als Trugschluss erweisen, sind die Kürzungen aufgrund der angespannten Haushaltslage in vielen Staaten doch eine dauerhafte Entwicklung. Das schmälert künftig die Ertragskraft der Waffenhersteller.Während die amerikanische Branche noch auf ihren starken Einfluss auf den US-Kongress baut, um gegenzusteuern, haben die führenden Militärlieferanten in Europa die Zeichen der Zeit längst erkannt. Die geplante Fusion von EADS und BAE Systems erwies sich aber als falsche Antwort auf den schrumpfenden Kuchen. Nachdem das Bündnis am Veto Berlins gescheitert ist, werden der britische Rüstungskonzern und die Airbus-Muttergesellschaft um weitere Einschnitte nicht herumkommen, um ihre Überkapazitäten schneller abzubauen.Das ist zwar für die betroffenen Unternehmensbereiche und ihre Beschäftigten schmerzlich, aber längst überfällig. Denn die Krise erzeugt den Druck, den es braucht, um verkrustete Strukturen aufzubrechen. Tiefgreifende Reformen sind notwendig – nicht nur auf Seiten der Hersteller, sondern auch auf Seiten der Staaten mit ihrem teils veralteten und damit ineffizienten Beschaffungswesen, dessen Organisation oft noch aus der Zeit des Kalten Krieges stammt. Es wäre daher für die Branche kein Desaster, wenn die US-Rüstungsausgaben auf das Niveau von 2007 zusammenschrumpfen würden. Die Militärausgaben des Pentagon wären dann immer noch höher als die Chinas und Russlands zusammen, wie der Branchendienst Center for Defence Information zuletzt vorgerechnet hat.——–Von Stefan Kroneck——-Der Sparzwang im Westen setzt die Rüstungsindustrie unter Druck. Die bisher verwöhnte Branche kommt um Einschnitte nicht herum.