Schanghai

Zwei Starpianisten, eine Hinrichtung

Wer ist Chinas bester Klavierspieler? Vor wenigen Tagen ist diese Frage endgültig und unwiderruflich entschieden worden, und zwar auf politisch korrekte Art und Weise.

Zwei Starpianisten, eine Hinrichtung

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der beste Pianist im bevölkerungsreichsten Land? Das ist eine Frage, die das äußerst klavierbegeisterte Reich der Mitte schon seit Jahren umtreibt und zahlreiche Diskussionen in der musikalischen Fachwelt wie auch in einem breiteren Publikum nährt. Einigkeit herrscht darüber, dass es sich um ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen zwei gleichaltrigen und gut aussehenden Männern handelt, denen bei jedem Auftritt die Herzen des chinesischen Publikums zufliegen.

Auf der einen Seite haben wir den spätestens seit der Eröffnungsfeier der Pekinger Olympischen Spiele von 2008 weltbekannten Klaviervirtuosen Lang Lang, ohne den mittlerweile keine große Gala mehr auskommt. Neben dem Pandabären ist er der vielleicht wichtigste Sympathieträger, um die kuscheligeren Seiten des chinesischen Volkes zu demonstrieren, und mittlerweile eine der wenigen noch einwandfrei funktionierenden Soft-Power-Allzweckwaffen der chinesischen Regierung.

Der stets gut gelaunte und supersympathisch auftretende Lang Lang hat wegen seiner unbestrittenen Showman-Qualitäten viel dazu beigetragen, Klavierkonzerte einem breiteren Publikum näherzubringen. Es gibt jedoch einschlägige Experten und Musikkritiker, die einen Mangel von Tiefgang beklagen. Man spürt nichts von den Leiden eines großen Künstlers. Und wie bitteschön kann jemand stundenlang bravourös vor sich hinklimpern, ohne eine Schweißperle auf der Stirn davonzutragen oder wenigstens einmal gequält zu gucken?

Auf der Suche nach tiefgründiger wirkender künstlerischer Inbrunst in chinesischer Pianistengestalt landet man bei einem anderen Jahrhunderttalent namens Li Yundi. Er ist zwar nicht die große internationale Zugnummer, aber wegen seiner unbestrittenen Fähigkeiten in China praktisch genauso bekannt wie Lang Lang. Der heute 39-jährige Li hatte im zarten Alter von 18 Jahren eine Sensation gelandet, als er im Jahr 2000 den Sieg bei der International Chopin Piano Competition davontrug. Der nur alle fünf Jahre verliehene Chopin-Preis, be­nannt nach dem polnischen Komponisten Fryderyk Franciszek Chopin, gilt als der vielleicht anspruchsvollste Pianisten-Wettbewerb überhaupt und ebnet den Weg für dauerhaften Ruhm und Ansehen in der Branche.

Li Yundi gilt als ein Instinktspieler, der auch den schärfsten Musikkritiker mit seinem fabelhaften Repertoire und feinsinnigen Interpretationen in seinen Bann zu ziehen und gleichzeitig das Konzertpublikum zu begeistern vermag. Anders als Lang Lang hat der introvertiert wirkende Li Yundi nie die ganz große Bühne und das Licht der Öffentlichkeit gesucht. Er ist zwar insbesondere beim weiblichen Publikum rasend beliebt, aber eher vermarktungsscheu.

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Zurück zur Frage, wer nun wirklich als Chinas bester Klavierspieler gelten darf. Vor wenigen Tagen ist die Sache endgültig und unwiderruflich entschieden worden, und zwar auf politisch korrekter Ebene per Ausscheidungsverfahren ganz ohne Zutun von Musikexperten oder Fanpublikum: Der unverheiratete Li hat nämlich einen weiblichen Escort Service in Anspruch genommen und die Dame an­scheinend nicht nur großzügiger als vereinbart  bezahlt, sondern auch so galant behandelt, dass sie davon im „Kolleginnenkreis“ schwärmte. Dann hat sich die Sache herumgesprochen und zu einer Anzeige wegen eines Prostitutionsdelikts geführt. Es handelt sich nach chinesischer Gesetzeslage nicht um ein strafrechtliches, sondern nur um ein ordnungsrechtliches Vergehen, dennoch folgt eine öffentliche Hinrichtung. Chinas führende Parteimedien haben Li umgehend mit einer Schimpf-und-Schande-Kampagne überschüttet, bei der alle mitziehen müssen.

Lis Konto mit 20 Millionen Followern auf Chinas Twitter-Kanal Weibo ist geschlossen worden, sämtliche Video- und Musikstreamingplattformen müssen seine Werke und Darbietungen aus ihrem Katalog entfernen. Der chinesische Musikindustrieverband hat ihn förmlich verbannt. Li wird nie wieder öffentlich auftreten oder einen Tonträger bespielen dürfen. Genau genommen hat es ihn nie gegeben. Also bleibt nur noch Lang Lang.