Zwischen Schullotto und Elterntaxi
Notiert in Frankfurt
Zwischen Schullotto und Elterntaxi
Von Lutz Knappmann
In regelmäßigen Abständen geistern die Bilder durch die Boulevardmedien – besonders gerne nach dem Ende der Schulferien: Eine ländliche Straße im Taunus, auf der sich viele Dutzend Autos stauen, vornehmlich großvolumige SUV. Es sind Eltern, die allmorgendlich ihre Kinder bis vors Tor ihrer Schule chauffieren, in diesem Fall zur Privatschule Phorms in Steinbach nahe Frankfurt. Die mächtige Elterntaxi-Kolonne ist längst zu einem Klischeebild geworden, für die viel gescholtene Spezies der Helikopter-Eltern und ihre überbehüteten Sprösslinge. Und sie liefert ausreichend Projektionsfläche für Diskussionen über die soziale Ungleichheit im hiesigen Schulsystem. Eine Privatschule, so die Lesart, muss man sich schließlich erstmal leisten können – und das zugehörige SUV natürlich auch.
Tatsächlich erzählt die Beobachtung, welchen Schulweg Kinder morgens nehmen müssen – und wie sie ihn zurücklegen – eine Menge über die gesellschaftliche Entwicklung in der Main-Metropolregion. Immerhin ist eines unstrittig: Die stauerprobten Eltern der Phorms-Eleven haben die Schule bewusst ausgewählt. Und damit auch den Weg dorthin. Das können viele andere Familien im Frankfurter Stadtgebiet nicht von sich behaupten. Denn wer sein Kind nicht an eine weiterführende Privatschule schicken kann oder will, macht schnell Bekanntschaft mit dem alljährlichen Schullotto.
Seit 2019 gilt in ganz Hessen die Regel, dass die Plätze an weiterführenden Schulen verlost werden. Künftige Fünftklässler geben im Frühjahr zwei präferierte Schulen an, übersteigt die Zahl der Interessenten jedoch die Zahl der Plätze, wird gelost. Unter den Bewerbern, die an beiden Wunschschulen leer ausgegangen sind, werden freie Plätze an anderen Schulen im Stadtgebiet verlost. Die Folge: Fachliche Interessen und Begabungen spielen bei der Platzvergabe mittlerweile ebenso wenig eine Rolle wie die von vielen Familien nachvollziehbar bevorzugte Wohnortnähe der Schule. Stattdessen werden viele Fünftklässler Schulen zugewiesen, die am anderen Ende der Stadt liegen – obwohl sie mehrere Schulen vor ihrer Haustür hätten. Zwar gelten Ausnahmen für Härtefälle, wozu aber beispielsweise Alleinerziehende explizit nicht zählen.
Diesen Sommer ist es, gemessen am wahrnehmbaren Unmut, besonders schlimm. Berichten zufolge wurden mehr als 10% der Fünftklässler Schulen zugelost, die nicht ihrem Wunsch entsprechen. Der Grund dafür ist so offensichtlich wie schwer zu beheben: Der Bau neuer sowie die Erweiterung vorhandener Schulen halten mit der Entwicklung neuer Wohngebiete und der demografischen Verteilung in der Stadt nicht mehr Schritt. Weshalb die Zahl neuer Schulplätze nicht nur zu langsam wächst, sondern Kapazitäten auch nicht immer dort entstehen, wo Bedarf für sie ist.
Ironischerweise führt das längst auch vor öffentlichen Schulen zu jenem Phänomen, das so gerne als Spezifikum von Privatschulen missverstanden wird: langen Elterntaxi-Kolonnen.