Hongkongs Börsenchefin sieht ihren Reformeifer belohnt
Hongkongs Börsenchefin sieht ihren Reformeifer belohnt
Finanzplatz als Kapitalbecken für Chinas Tech-Potenzial – Plötzlich wimmelt es an Börsenanwärtern – Vorreiterin für Gender Diversity
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Es hat lange genug gedauert, aber mittlerweile scheint es am Finanzplatz Hongkong wieder wie am Schnürchen zu laufen. Vor einem Jahr ist Bonnie Chan als Nachfolgerin des etwas glücklos agierenden Investmentbankers Nicolas Aguzin auf den Chefsessel des Hongkonger Börsenbetreibers gerückt und die Stimmungslage könnte nicht unterschiedlicher sein.
Harte Durststrecke
Nach drei mageren Jahren mit zusehends erlahmenden Emissionsgeschäft und zermürbender Baissetendenz am Aktienmarkt drohte die Hong Kong Exchanges & Clearing (HKEX) ihre Sonderstellung als Magnet für Initial Public Offering (IPO)zu verlieren. Vielmehr als die optimistische Durchhalteparolen hatten die Finanzplatzpromotoren nicht zu bieten.
Neuer Schwung im Laden
Für einen Durchbruch brauchte es eine breite Sentiment-Verbesserung im Aktienmarkt, die von Entwicklungen auf dem Festland abhängt. Seit einigen Monaten brummen die Geschäfte wieder sowohl auf Ebene der Handelsaktivität wie auch im Primärmarkt. Das über lange Zeit hinweg lethargische Börsengeschehen ist von rekordhohen Handelsumsätzen abgelöst worden. Auch im Primärmarktgeschäft mit Initial Public Offering (IPO), Kapitalaufstockungen und Bondbegebungen sieht man eine positive Wende. Chinesische Börsenanwärter stehen wieder Schlange und haben lassen einige Jumbo-Deals erwarten.
Gestrafftes Listing-Regime
Dank der Rückkehr eines offensiveren Investor-Sentiments kann die HKEX ihre Stärken als internationale Handelsbühne wieder voll Geltung kommen und die Geschäfte expandieren, versichert Chan. Unter ihrer Regie sind wichtige Straffungen des Listing-Regimes vorausschauend erfolgt. Sie ermöglichen erstmals vielversprechenden aber noch umsatzlosen jungen chinesischen Start-ups einen Börsengang in Hongkong. Gleichzeit wurde das Antragsverfahren für Listing-Kandidaten deutlich verschlankt und beschleunigt.
Gutes Timing
Die Reformschritte sind gut getimt. Auf dem Festland stehen Börsenanwärter derzeit vor hohen regulatorischen Hürden, die die Wertpapieraufseher mit Rücksicht auf Schonung des Sekundärmarktes veranlasst haben. Sie zeigen aber anders als früher mehr Bereitschaft, diesen Firmen grünes Licht für den Gang zur Offshore-Bühne zu geben.
Vitalisierte Tech-Szene
Hongkongs Kapitalmarkt wird eine entscheidende Rolle dabei spielen, Chinas Innovationspotenzial und Tech-Ambitionen zu erschließen, erklärte Chan im Juni auf dem Lujiazui Finanzreform in Schanghai. Zu diesem Zeitpunkt klang es noch wie Zukunftsmusik mit vagem Hoffnungscharakter. Die Voraussetzungen haben sich jedoch im Blitztempo erfüllt. Mit dem Chatbot-Modell DeepSeek als Katalysator wird nicht nur kräftige Rally bei Tech-Aktien losgetreten. Es ist ein positives Klima geschaffen worden, dass die lange brachliegende Venture-Capital-Szene vitalisieren dürfte, weil Start-ups für ihre Exit-Strategie wieder hoffnungsvoll nach Hongkong schielen können.
Fette Emissionen in Sicht
Im Kapitalmarktgeschäft der HKEX geht es Schlag auf Schlag. Gerade erst hat die Teegetränkekette Mixue mit dem bislang größten IPO in diesem Jahr über 450 Mill. Dollar ein Kursfeuerwerk gezündet. Der in Hongkong notierte E-Auto-Riese BYD hat sich mit einer riesigen Aktienplatzierung über 5 Mrd. Dollar gemeldet, um Kapital für Auslandsexpansionspläne zu beschaffen. Mit dem Batteriehersteller CATL und dem Smartphonebauer Honor kündigen sich bereits großvolumige Neuemissionen an, die auf starke Resonanz beim wieder tatendurstigen Hongkonger Anlagepublikum stoßen dürften.
Eigengewächs darf ran
Bonnie Chan tritt nicht nur als erste weibliche Führungsspitze der HKEX in die Geschichtsbücher, sie ist auch das erste „Eigengewächs“, das in die Top-Position aufrücken könnte. Ihre Vorgänger wurden allesamt von außen rekrutiert wurden. Sie hat keinen Background als Investmentbankerin oder Dealmaker am Finanzplatz, sondern ist über die juristische Schiene als Legal Counsel zur HKEX gestoßen.
Versierte Juristin
Die gebürtige Hongkongerin mit Abschlüssen der Hong Kong University und der renommierten Harvard Law School begann ihre Karriere bei einer Reihe von Hongkonger Anwaltsfirmen, tauchte dann aber als Legal Counsel für Morgan Stanley stärker in die Finanzsphäre ein. Im Jahr 2007 wechselte sie zur bei der HKEX als Leiterin der Abteilung für IPO-Transaktionen und Listing-Anbahnung, um nach drei Jahren allerdings wieder zu einer privaten Anwaltskanzlei zurückzukehren.
Modernisierungsschub
Erst eine Dekade später fand Chan den Weg zurück zur HKEX, wo sie erneut als Chefin des Listing-Departments fungierte, um dann im Februar 2023 auch in die Rolle eines Co-Chief Operating Officer zu rücken. Dabei ließ sie zahlreiche Initiativen anstoßen, um dem Listing-Wesen einen moderneren Anstrich zu verpassen. Hinzu kommt das unter ihrer Regie entwickelte Digitalisierungsprojekt Fast Interface for New Issuance (FINI), das als Abwicklungsverfahren den Settlement-Zyklus für Hongkong-IPO von fünf auf zwei Tage wesentlich reduziert hat. Dass sie die Früchte ihrer langjährigen beharrlichen Anstrengungen nun in einer Chefrolle ernten kann, dürfte eine besondere Genugtuung sein.
Blick nach außen
Auf andere Ebene gibt es noch genug zu tun. Noch wenig zufrieden zeigt sich Chan mit der Fähigkeit der HKEX, Emittenten aus anderen asiatischen Ländern anzuziehen, um das Hongkonger Kapitalbecken anzuzapfen. Sie tingelt unentwegt zu Investorentreffen und Finanzforen im asiatischen Raum. Es gilt Brücken zu schlagen, um in Ländern mit wenig liquiden Aktienmärkten Kandidaten für ein Hongkong-Listing zu gewinnen. Die Hoffnungen konzentrieren sich vor allem auf die Golfstaaten, man schielt aber auch stark auf Malaysia, Thailand und Indonesien.
Diversität ist Trumpf
In einer Herzensangelegenheit für Chan gibt es noch Widerstände. Sie hat sich in langjähriger Mitwirkung beim Financial Services Development Council (FDSC) der Sonderverwaltungszone als Vorreiterin für „Gender Diversity“ in Hongkongs Finanzszene profiliert. Ihre unentwegte Message ist: Eine erhöhte weibliche Präsenz in Führungsetagen heißt bessere Erschließung von Talentreserven und führt langfristig aus Investorensicht zu gesteigerter Performance. Ein Grund also sich auch von Finanzplatzwarte aus in das Thema einzuschalten. In Hongkong selber sieht man Fortschritte, gegenwärtig sind rund 18% der Board-Sitze mit Frauen besetzt, vor 5 Jahren waren es nur etwa 11%.
Staatsriesen als Spielverderber
Im eigenen Haus hat Chan ihre Vorstellungen auf besondere Weise gar in Listing-Regularien festschreiben lassen und macht es für dort notierte Firmen zur Pflicht, mindestens eine Frau im Führungsgremium aufzuweisen. Hongkonger Firmen halten sich an die Auflage, bei Festlandunternehmen ist die Sache schwieriger. Insbesondere bei Chinas staatlichen Bankriesen, deren Führungsspitzen parteipolitisch bestimmt werden, sucht man weibliche Vertreter mit der Lupe.
Vorsichtig Druck machen
Chan hat auf tapfere Weise Druck aufgebaut, muss aber auch diplomatischem Fingerspitzengefühl agieren. Theoretisch könnten Unternehmen, die die Gender-Auflagen der HKEX missachten, sogar vom Börsenzettel entfernt werden. Chan gilt zwar als extrem beharrlich und keineswegs konfliktscheu. Tatsächlich aber ist es im Blick auf die Machtbalance mit Peking nicht vorstellbar, dass diversitätsblinde chinesische Staatskonzerne einen Denkzettel verpasst bekommen.