Ministerpräsidenten fordern schnellen Preisdeckel vom Bund
Die 16 Bundesländer fordern einen Energiepreisdeckel. „Aller Voraussicht nach wird dies im dreistelligen Milliardenbereich liegen“, sagte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) nach den stundenlangen Beratungen der Länder. Die Kosten würden aber angesichts der dramatischen Lage durch die hohen Gas- und Strompreise „um ein Vielfaches“ höher liegen, wenn man Bürger und Betriebe jetzt nicht vor den stark gestiegenen Energiepreisen schütze. „Wir brauchen eine Politik der nationalen Einheit.“ Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) forderte, die Beratungen über das von der Ampel-Koalition vorgelegte Entlastungspaket in ein umfassendes Gesamtkonzept einzubetten. Der Bund müsse bei der Wohngeldreform, den Regionalisierungsmitteln, Flüchtlingskosten und Krankenhäusern mehr zahlen.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, unterstützt die Forderungen nach einem Energiepreisdeckel. „Es gibt sicherlich prinzipiell bessere Lösungen als eine Strom- und Gaspreisebremse, aber in dieser Notlage ist eine solche Bremse die beste Option“, sagte Fratzscher der Zeitung „Rheinische Post“ (Donnerstagausgabe) laut Vorabbericht. „Wenn man sie klug ausgestaltet, kann sie sowohl die richtigen Anreize für Einsparungen setzen als auch eine merkliche Entlastung für Unternehmen und Menschen mit mittleren und geringen Einkommen schaffen.“ Die Politik müsse bei ihrer Lösung vor allem darauf achten, dass Menschen mit geringen Einkommen ausreichend entlastet würden, dass eine Lösung schnell gefunden und umgesetzt werde und dass diese Lösung auch „verlässlich für die kommenden zwei Winter“ gelte. Zugleich forderte er mit Blick auf die Sonderkonferenz der Bundesländer am Mittwoch eine stärkere finanzielle Beteiligung der Länder bei den geplanten Entlastungen. „Auch die Bundesländer sollten mehr Verantwortung übernehmen und nicht den allergrößten Teil der Finanzierung auf den Bund schieben, zumal die meisten Bundesländer finanziell vergleichsweise gut dastehen.“
Die Regierungschefinnen und -chefs der Länder forderten zudem, dass die Maßnahmen der Bundesregierung wirksam, spürbar, einfach verständlich und schnell umsetzbar sein müssten. „Zur Gegenfinanzierung sind auch im Energiesektor erzielte Über- beziehungsweise Zufallsgewinne abzuschöpfen. In diesem Zusammenhang sind auch Entlastungen für Pendler zu prüfen,“ hieß es in einer Stellungnahme. Die 16 Länderchefinnen und -chefs steckten damit ihre gemeinsame Position für die Beratungen mit Bundeskanzler Olaf Scholz am 4. Oktober ab. Die gemeinsamen Beratungen mit dem Bund hatten verschoben werden müssen, weil der Kanzler an Corona erkrankt ist.
Länder fordern Preisdeckel, EU-Kommission skeptisch
Die Länder äußerten indirekt Unzufriedenheit mit den Vorbereitungen der Ampel-Regierung in der Energiekrise. Zwar wurde gelobt, dass die Versorgungssicherheit etwa durch den Bau der LNG-Terminals an der deutschen Küste und gefüllte Gasspeicher weitgehend gesichert sei. Aber die Bundesregierung wird aufgefordert, „kurzfristig ein nachhaltig wirksames industriepolitisches Konzept zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und Industrie sowie zur Sicherung von Arbeitsplätzen zu entwickeln“. Hintergrund sind die Klagen viele Betriebe, dass der Bund – anders als einige andere EU-Regierungen – bisher keine ausreichenden Hilfen gegen die rapide gestiegenen Energiepreise anbietet. Für die kommunalen Stadtwerke als Energieversorger wird ein Schutzschirm gefordert. Sollten die EU-Energieminister sich nicht auf eine europaweite Strompreisbremse einigen können, müsse sie national umgesetzt werden.
Die Europäische Kommission warnt hingegen vor den Risiken einer breit angelegten Obergrenze für Gaspreise. „Es ist wegen der komplizierten internen und globalen Marktdynamik ein schwieriges Unterfangen, ein angemessenes Limit zu bestimmen“, schreibt die Kommission in einer mit den EU-Ländern geteilten Analyse. Werde diese zu streng und zu breit festgelegt, könnte der Gassfluss zwischen den Mitgliedsstaaten sowie zwischen der EU und anderen Lieferanten unterbrochen werden. Man würde dann „beträchtliche Finanzmittel“ brauchen, damit die EU-Länder Gaslieferungen von Märkten beziehen könnten, wo andere Käufer Preise über der EU-Obergrenze zahlten. Zudem könnten im Falle eines Versorgungsengpasses mehrere EU-Länder auf das Limit stoßen. Dann würden die Preissignale nicht mehr die Gasströme in Regionen mit hoher Nachfrage lenken können. Deswegen müsse man eine Dienststelle einrichten, die die knappen Vorräte zwischen den EU-Ländern aufteilen könnte. Die 27 EU-Energieminister treffen sich am Freitag, um eine Einigung über Maßnahmen zur Linderung der Energiekrise in Europa zu erzielen. Dabei liegen Vorschläge zur Abgabe von Zufallsgewinnen auf dem Tisch wie auch eine Gaspreisobergrenze.
Länder uneins bei Schuldenbremse
Die Ministerpräsidenten-Konferenz fordert die Bundesregierung außerdem auf, dass die Hilfen auf kleine und mittlere Einkommen beschränkt und steuerliche Entlastungen wie die Strom- und Energiesteuer ins Auge gefasst werden müssten. „Es ist nicht zu erwarten, dass in der nächste Woche alle Fragen gelöst werden“, sagte Wüst. Einige Punkte würden im Bundesratsverfahren geklärt werden. Unions-geführte Länder hatten bereits angekündigt, dass sie etwa das von der Ampel beschlossene Bürgergeld in den Vermittlungsausschuss schicken wollen. Mit dem einstimmigen Beschluss auf das achtseitige Forderungspapier stärken die Länder ihre Verhandlungsposition gegenüber dem Bund.
Allerdings räumte Giffey ein, dass man sich nicht in allen Punkten habe einigen können: So sprechen sich die von SPD oder Linken geführten Bundesländer in einer Protokollnotiz dafür aus, eine „außergewöhnliche Notsituation im Sinne des Grundgesetzes“ festzustellen. „Dies rechtfertigt bei Bund und Ländern die Aufnahme von Krediten über die Begrenzung der Schuldenbremse hinaus.“ Die Aussetzung der Schuldenbremse auch 2023 lehnt Finanzminister Christian Lindner (FDP) bisher aber ab. Auch die unionsgeführten Länder sind skeptisch und fordern von der Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP, dass sie zunächst angesichts der dramatischen Lage Projekte aus dem Koalitionsvertrag infrage stellt. Bayern setzte sich in einer Protokollerklärung unter anderem für den Weiterbetrieb des niedersächsischen Atomkraftwerks Lingen und die Abschaffung der Gasumlage ein.