Aufstieg und Fall des Kardinals Becciu
Von Gerhard Bläske, Mailand
Bis zum vergangenen Jahr war Angelo Giovanni Becciu einer der ranghöchsten Männer im Vatikan: Der Kardinal war Substitut des vatikanischen Staatssekretärs Pietro Parolin, Mitglied der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, Präfekt der Selig- und Heiligsprechungskongregation und noch vieles mehr. Im Laufe seiner langen Karriere diente der gebürtige Sarde der Kirche in den Vereinigten Staaten und in unzähligen Ländern in Afrika, Asien und Europa.
2020 trat er dann überraschend – nicht ganz freiwillig – von allen Ämtern zurück und verzichtete auf seine Rechte als Kardinal. Vom 27. Juli an muss sich der 73-Jährige in einem Hauptverfahren vor dem Vatikanischen Gerichtshof verantworten – mit neun weiteren Angeklagten. Ein tiefer Fall. Die Vorwürfe wiegen schwer. Becciu werden Veruntreuung, Amtsmissbrauch und Anstiftung zu Falschaussagen vorgeworfen.
Andere Beschuldigte müssen sich wegen Geldwäsche, Erpressung und Urkundenfälschung verantworten. Unter den Angeklagten sind der Ex-Präsident der Vatikanischen Finanzaufsicht René Brülhart, Ex-Direktor Tommaso Di Ruzza, die Vatikanberaterin und Becciu-Vertraute Cecilia Marogna, der Investmentbanker Gianluigi Torzi und Raffaele Mincione, über dessen Investmentfonds Athena Capital Global Opportunity Funds Investitionen von mehreren 100 Mill. Euro getätigt worden waren. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft umfasst 490 Seiten.
Es waren Investitionen, bei denen die Kirche viel Geld verloren hat, Geld, das auf Konten von Vermittlern, Maklern, Brüdern des Kardinals und seiner Vertrauten floss, Gelder, die größtenteils aus dem „Peterspfennig“, Spenden der Gläubigen für karitative Zwecke, stammten. Die spektakulärste Investition war der völlig überteuerte Kauf einer riesigen Immobilie in London, in der Luxuswohnungen entstanden.
Die Kirche macht, wie so oft, wenn es um Finanzen geht, keine gute Figur. Giuseppe Pignatone, Präsident der Vatikanischen Justiz, spricht von einem „faulen System“, Gian Piero Milano, Chef der Staatsanwaltschaft, von einer „konzertierten Aktion“. Verluste seien vertuscht und durch undurchsichtige Aktionen weitere Gelder investiert worden. Becciu betrachtet sich als unschuldig: Er sei „Opfer eines Komplotts“.
Immerhin hat es Papst Franziskus durch ein Dekret überhaupt erst möglich gemacht, dass Becciu und künftig generell Kardinäle und Bischöfe sich vor einem weltlichen Gericht verantworten müssen. Und: Der Papst hat infolge dieses Skandals das mächtige Staatssekretariat entmachtet, indem er dessen Konten bei der Vatikanbank IOR und auf ausländischen Konten an die vatikanische Vermögensverwaltung übertrug und damit das Finanzsystem neu ordnete.
Doch Papst Franziskus muss auch Rücksicht nehmen: Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der am Ende die Verantwortung trägt, bleibt erstmal außen vor. Der enge Vertraute des Heiligen Vaters ist nicht angeklagt. Nicht auszuschließen, dass von ihm noch die Rede ist.