Von Gesche Wüpper, Paris

Nach dem geplatzten Zusammenschluss mit M6 tritt Frankreichs größter Privatfernsehsender TF1 die Flucht nach vorn an und wechselt den Chef aus. Um TF1 fit für die Zukunft und die zunehmende Konkurrenz durch amerikanische Tech-Plattformen wie Netflix, Amazon Prime Video und Disney+ zu machen, holt er den früheren Chef von Canal+, Rodolphe Belmer. Der 53-jährige Manager, der im Juni nach noch nicht mal einem halben Jahr an der Spitze von Atos seinen Hut genommen hatte, soll den bisherigen TF1-Chef Gilles Pélisson ablösen.

Pélisson werde Belmers Berufung dem Verwaltungsrat bei seiner nächsten Sitzung am 27.Oktober vorschlagen, teilte TF1 mit. An diesem Datum würden die Funktion des Generaldirektors und des Ver­waltungsratsvorsitzenden getrennt. Pélisson soll zunächst weiter den Verwaltungsrat von TF1 bis zum Stichtag der Bilanz für 2022 am 13.Februar 2023 leiten und dann als stellvertretender Generaldirektor zum TF1-Mutterkonzern Bouygues wechseln. Dort wird der 65-Jährige, der früher Chef von Euro Disney, Accor und Bouygues Télécom war, für Medien und Entwicklung zuständig sein.

Belmer, der zunächst als Generaldirektor bei TF1 beginnt, soll dann auch den Verwaltungsratsvorsitz übernehmen. „Ich bin überzeugt, dass wir zusammen den vielfältigen Herausforderungen der neuen Welt der Medien begegnen und der TF1-Gruppe neue Wachstums- und Entwicklungsmöglichkeiten in der Digital-Ära öffnen können“, erklärte er. Der in Rennes geborene Bretone hat einen Großteil seiner Karriere beim Fernsehen absolviert: beim Bezahlfernsehsender Canal+, wo er zuletzt Generaldirektor war. Doch dann übernahm Vincent Bolloré bei Vivendi, dem Mutterkonzern von Canal+, die Macht und setzte Belmer wenige Monate danach kurzerhand vor die Tür.

Anschließend stand Belmer sechs Jahre lang an der Spitze des Satellitenbetreibers Eutelsat, von dem er Anfang dieses Jahres zu Atos wechselte. Bei dem IT-Dienstleister trat er jedoch bereits im Sommer nach strategischen Meinungsverschiedenheiten wieder zurück, da Atos sich aufspalten will. Nach dem Abitur an einem Militärgymnasium hat der neue TF1-Chef die Wirtschaftshochschule HEC absolviert und danach seine Karriere in der Marketingabteilung von Procter & Gamble begonnen, bevor er Ende der 1990er Jahre zu McKinsey wechselte.

Seit 2018 sitzt Belmer im Verwaltungsrat von Netflix. Er ist zudem Vorsitzender des auf Fernsehserien spezialisierten Festivals Séries Mania in Lille. Diese Erfahrungen wird Belmer bei TF1 gut gebrauchen können, denn obwohl der Sender immer noch der größte Frankreichs ist, verliert er wie andere traditionelle Fernsehsender vor allem junge Zuschauer an Streaming-Plattformen. Ihn er­wartet bei TF1 zudem ein Kräftemessen mit seinem früheren Arbeitgeber Canal+, der seit Anfang September nicht mehr die Sender der TF1-Gruppe ausstrahlt, da er mit der von TF1 geplanten Erhöhung der Gebühren nicht einverstanden ist.