Der Aufdecker, der Wirecard zu Fall brachte
Von Stefan Kroneck, München
Es ist zwar bereits 17 Monate her, dass der Betrug im Milliardenumfang bei Wirecard aufflog und zum Zusammenbruch des Zahlungsabwicklers führte, doch die juristische Aufarbeitung der mutmaßlichen kriminellen Machenschaften ist zäh. Der Firmengründer und frühere Vorstandsvorsitzende Markus Braun (52) sitzt seit 16 Monaten in Untersuchungshaft, sein einstiger Vorstandskollege Jan Marsalek (41) hält sich weiterhin vor den Strafverfolgern versteckt. Die Tatvorwürfe der ermittelnden Münchner Staatsanwaltschaft gegen sie wiegen in der komplexen Causa schwer: gewerbsmäßiger Bandenbetrug, besonders schwerer Fall der Untreue, Bilanzfälschung und Marktmanipulation. Eine Anklage gegen Braun und andere Beschuldigte wird 2022 erwartet. Bis zu einem Gerichtsprozess wird es aber noch eine Weile dauern.
Die Schlüsselperson, die nach eigenen Angaben entscheidend dazu beitrug, die illegalen Praktiken beim früheren Dax-Konzern an die Öffentlichkeit zu bringen, trat erst im Mai dieses Jahres ins Rampenlicht. Anlass war ein der Presse vorgestellter Dokumentarfilm über den Wirecard-Skandal, in dem Pavandeep (Pav) Gill als Akteur eine herausragende Rolle spielt. Der aus Singapur stammende 38-jährige Jurist war 2017 zu Wirecard gekommen und arbeitete dort bis 2018 als Anwalt der Rechtsabteilung (Senior Legal Council) in Asien am Standort seiner Heimatstadt. Interne Hinweise auf dubiose Bilanzierungs- und Geschäftspraktiken der verantwortlichen Manager in der Region veranlassten ihn bereits nach kurzer Zeit, die Konzernzentrale in Aschheim bei München einzuschalten. Doch statt dort Hilfe zu erhalten, um die Dinge aufzuklären, wurde er nach eigenen Angaben ausgegrenzt und sah sich schließlich gezwungen, das Unternehmen zu verlassen. Gill wandte sich mit seinen gesammelten Informationen und Beweismitteln über Scheingeschäfte danach an die „Financial Times“ (FT). Berichte der britischen Tageszeitung über die Methoden von Wirecard sorgten schließlich dafür, dass das Unternehmen im Juni 2020 wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel. Eine vom Aufsichtsrat bei KPMG in Auftrag gegebene Sonderprüfung über das Ausmaß der Machenschaften führte dazu, dass der Abschlussprüfer EY das Testat für 2019 verweigerte. Der Fall Wirecard löste eine Reform der deutschen Finanzaufsicht BaFin aus, nachdem diese in der Causa eine klägliche Figur abgegeben hatte.
Kritik an BaFin
Gill ist mittlerweile ein gefragter Fachmann für die Einhaltung von Regeln in Unternehmen (Compliance) in öffentlichen Diskussionsrunden, um aus der Causa Wirecard Lehren zu ziehen. Anlässlich einer Veranstaltung der US-Wirtschaftsauskunftei Dun & Bradstreet zu diesem Thema äußerte er sich in einer virtuellen Gesprächsrunde unter anderem sehr kritisch über das damalige Verhalten der BaFin. „Die Rolle des deutschen Regulators ist für mich die größte Enttäuschung in der Sache“, sagte Gill. „Es war für mich ein Schock, wenn man sich vor Augen hält, dass es sich um das größte EU-Mitgliedsland handelt.“ Zur Erinnerung: Die Behörde stellte sich zunächst vor Wirecard, als die Berichte der „FT“ einen Kurseinbruch auslösten. Sie untersagte zeitweilig Leerverkäufe gegen Aktien des Unternehmens. Das war bis dahin ein einmaliger Vorgang. Gill zufolge folgte die BaFin der Schilderung von Wirecard, dass es sich um Shortseller-Attacken handele. Die „FT“-Berichte hätten ihm aber das Gefühl gegeben, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt, erklärte er.
Im Unternehmen selbst fühlte er sich nach seinen Worten „isoliert“, als er den Dingen nachging. „Das war keine gute Situation. Ich konnte mit anderen Kollegen und mit Freunden nicht darüber reden. Ich war aber überzeugt davon, dass ich meine Arbeit richtig mache.“ Erst als er Wirecard verließ und sich danach auf Jobsuche befand, verschaffte seine Mutter ihm den Kontakt zur „FT“. Von da an kamen die Dinge ins Rollen. Heute arbeitet Gill wieder als Rechtsberater im Finanzsektor. In der Funktion des Chief Legal Officer ist er für Zipmex tätig. Dabei handelt es sich um eine Börse für digitale Assets in Bangkok. Ein Personen- bzw. Zeugenschutzprogramm für ihn laufe nicht, sagte er.