Sparkassen- und Giroverband Hessen-Thüringen

Der unruhige Geist Grandke übt sich im Ruhestand

In wenigen Tagen geht der selbsterklärte „unruhige Geist“ Gerhard Grandke in Ruhestand. Dann wird sich der langjährige Sparkassenverbandschef in einem eigenen Blog Gott und der Welt widmen.

Der unruhige Geist Grandke übt sich im Ruhestand

Von Tobias Fischer, Frankfurt

Diplom-Pädagoge, Unternehmensberater, Offenbacher Oberbürgermeister, Beinahe-Ministerpräsidenten-Kandidat, Sparkassenverbandschef – Gerhard Grandke kann eine belebte Biografie vorweisen. In wenigen Tagen wird sich der 67-Jährige in den Ruhestand verabschieden. Und sich neuen wie lange ungeübten Aufgaben widmen.

Wäre der Sparkassentag Hessen-Thüringen in Offenbach Mitte November nicht coronabedingt kurzerhand abgesagt worden, Grandke hätte sich in seiner Heimatstadt gebührend als geschäftsführender Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes­ Hessen-Thüringen (SGVHT) verabschiedet. Fast 13 Jahre stand er dem Dachverband der Sparkassen und ihrer kommunalen Träger in den beiden Bundesländern vor. Wie weiland beim Großen Zapfenstreich für Bundeskanzler Gerhard Schröder wäre Frank Sinatras „I did it my way“ gespielt worden, und wie sein SPD-Parteifreund 16 Jahre zuvor hätte vielleicht auch Grandke ein Tränchen verdrückt.

Nicht nur Freunde gemacht

Dass in dem selbst- wie sendungsbewussten Ex-Politiker bei öffentlichen Auftritten nach wie vor Lampenfieber aufsteigt, wie er bekundet, merkt man dem 2,01-Meter-Mann nicht an. Adrenalin pur fließe, weil ihm das, was er rüberbringen wolle, halt wichtig sei, sagt er. Der „unruhige Geist“, als den Grandke Grandke bezeichnet, wolle seinen Standpunkt eben fachlich fundiert rüberbringen. Wenn’s sein muss manchmal auch mit überaus deutlichen Worten. „Nicht jeder kommt damit klar“, sagt er. So mutmaßt er, mit breitem Grinsen, dass das Publikum beim Sparkassentag in Offenbach – so er denn stattgefunden hätte – zwiegespalten gewesen wäre: „So manche aus der Sparkassen-Finanzgruppe hätten es bedauert, dass ich gehe, und manche wären gekommen, um sich zu vergewissern, dass ich wirklich gehe.“

Erst mal zum Gitarrenkurs

Seinem Nachfolger Stefan Reuß wünscht er eine glückliche Hand. Der bisherige Landrat des Werra-Meißner-Kreises kenne sich angesichts seiner langjährigen Tätigkeiten in diversen Sparkassen-Gremien aus, für ihn sei das Amt kein Sprung ins kalte Wasser. Wenn Reuß am 1. Januar an die Verbandsspitze rückt, wird sich Grandke fortan mit neuen Betätigungsfeldern, so dem Bloggen, auseinandersetzen, aber auch mehr Zeit geliebten Beschäftigungen wie dem Lesen und lange ungenutzten Fähigkeiten wie dem Musizieren widmen. Zum Gitarrenkurs hat er sich schon angemeldet, um frühere Kenntnisse aufzufrischen und beim Campen, noch so einer Leidenschaft Grandkes, zu schrammeln, wie er sagt. Im Januar geht außerdem der Baumschnittkurs los, in dem er sich endlich in aller Ruhe fachmännisch mit dem Obstbaumschnitt auseinanderzusetzen ge­denkt. Eine Streuobstwiese hat er schon länger, ein weiteres Grundstück für eine zweite neu erworben.

Blog über Gott und die Welt

Den Blog will Grandke mit Gefährten aus vergangenen Jahren und Jahrzehnten aufziehen. Sobald klar ist, wer definitiv mit von der Partie ist, soll’s losgehen. Die Mitstreiter seien allesamt in der gleichen Lebensphase, junge Rentner also, und Leute vom Fach: ehemalige Journalisten sind dabei, Juristen, Finanzexperten. Gebloggt werden soll über Politik, Wirtschaft, Geld, Gesellschaft. Über Gott und die Welt also – und gern mit Lokalkolorit. Parteipolitik werde keine Rolle spielen, sagt SPD-Mann Grandke.

Wenn der mit seiner Frau in einem inmitten der Einflugschneise des Flughafens gelegenen Reihenhaus in Offenbach lebende Grandke Ruhe sucht, zieht es ihn mit dem Wohnmobil in die Ferne oder ins Ferienhäuschen auf dem flachen Land zwischen Bremerhaven und Wilhelmshaven. Eine Reminiszenz an seine Kindheit, die er oft bei der Verwandtschaft im hohen Norden verbrachte. Schneller geht’s nach Kröv an der Mosel, wo sich Grandke unter anderem gemeinsam mit seinem älteren Bruder Reinhard, seines Zeichens Hauptgeschäftsführer der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), der Bewirtschaftung eines Weinbergs widmet. „Die Einrichtung zur Zerstreuung der freien Zeit“, wie er es nennt, bietet den Grandkes und dem Freundeskreis reichlich Betätigungsmöglichkeiten. Der Steilhang in der Lage Kröver Nacktarsch bringt nur Riesling für den Eigenbedarf hervor, ist zu vernehmen, getauft auf den Namen „Wein der Freunde“.

Auch seinen Büchern will sich der selbsterklärte Aktenfresser häufiger zuwenden. Derer gibt es viele in seiner Privatbibliothek, vornehmlich zu Soziologie, Historischem, Systemtheorie und Volkswirtschaft. An Interessen mangelt es Grandke, der zwei Studienabschlüsse vorweisen kann, keineswegs: Dem Staatsexamen in Germanistik und Politikwissenschaften folgte das Diplom in Pädagogik. Tätigkeiten als Dozent beim Deutschen Gewerkschaftsbund und als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Frankfurter Uni schlossen sich an, Managementaufgaben am Frankfurter Flughafen und schließlich eine Episode als Unternehmensberater bei Hirzel Leder & Partner. 1990 wurde er Kämmerer im verarmten Offenbach, 1994 Oberbürgermeister.

Umbau in Offenbach

Er übernahm eine vom Niedergang der Lederindustrie gebeutelte Großstadt, in der Ende der achtziger Jahre die höchsten Sozialaufwendungen pro Kopf in der gesamten Bundesrepublik gezahlt worden seien, wie der „Spiegel“ 1994 festhielt. „Die Lage war so verzweifelt, dass sich die Stadt Attila dem Hunnen ausgeliefert hätte. Stattdessen kam Grandke“, schrieb das Magazin. Und hielt ihm zugute, mit einer wenn auch hochumstrittenen und ohne Rücksicht auf „Sozialromantik“ umgesetzten Radikalsanierung das Blatt gewendet zu haben.

Das Offenbacher Modell hat dem zweifachen Vater einige überregionale Bekanntheit und 2006 beinahe die Kandidatur gegen Hessens Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) eingebracht. Die hätte er sehr gerne angenommen, wie er sagt, doch die Lebensumstände hätten es damals nicht zugelassen. Aus privaten Gründen sagte er ab.

Finanz- bis Coronakrise

Nach einer dreijährigen Etappe als Geschäftsführer der Helaba-Projektentwicklungstochter OFB verschlug es Grandke im März 2009 zum SGVHT, wo von Anfang an Krisenmanagement angesagt gewesen sei, wie er sagt. Beschäftigten ihn damals die Folgen der Finanzkrise, so sind es zum Ende seiner Zeit an der Verbandsspitze die der Coronakrise.

In seiner ersten Pressekonferenz als SGVHT-Chef, gerade mal gut zwei Wochen im Amt, stellte er fest: „Die notwendige Konsolidierung des Landesbankensektors gestaltet sich ausgesprochen zähflüssig.“ Würde er das heute erneut so formulieren? „Es hat sich empirisch bewiesen, was ich damals gesagt habe“, erwidert Grandke verschmitzt. Allerdings sind in seiner Amtszeit weitere Landesbanken verschwunden: WestLB, deren bessere Bestandteile sich die im SGVHT-Eigentum befindliche Helaba einverleibt hatte, HSH Nordbank und Bremer Landesbank. Besser als nichts, wie er festhält: „Im Verhältnis zur Erdgeschichte ist das Speed Management.“ Das Sparkassen-Zentralinstitut hält er für sinnvoll und notwendig, um Risiken zu redimensionieren. „Es muss und wird kommen“, zeigt er sich überzeugt. Die Frage sei nur wann.

Dass die Finanzgruppe fähig und willens sei, auch dicke Bretter zu bohren, beweise die Übereinkunft zur Institutssicherung. Einstimmig hatte die Mitgliederversammlung des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) im August be­schlossen, auf Geheiß der Aufsicht einen zusätzlichen Topf über gut 5 Mrd. Euro bereitzustellen. „Wir haben nicht unwesentlich zu dem Konsenspapier zur Einlagensicherung beigetragen“, sagt Grandke und fügt hinzu: „Und darauf sind wir stolz.“ Zumal sich der Konsensbildungsprozess in der S-Finanzgruppe üblicherweise als diffizil erweise. Bei so elementaren Belangen wie Institutssicherung gilt zudem Einstimmigkeitsprinzip in den relevanten Gremien. „Das macht es nicht einfacher“, kommentiert Grandke.

Letzte Amtshandlungen

Zu seinen letzten Amtshand­lungen am finalen Arbeitstag 30.Dezember wird zählen, sich von jenen der knapp 300 Mitarbeiter des Sparkassenverbandes zu verabschieden, die sich Corona zum Trotz in den Geschäftsräumen in der Alten Rothofstraße 8­–10 in Frankfurt einfinden, und die fünf Gemälde in seinem Büro abzuhängen. Eines davon ist ein Stillleben, das ihm Parteifreunde geschenkt haben, ein leicht abgeändertes Abbild eines Gemäldes, das in der Offenbacher Sparkasse hängt. Zu sehen sind Tabakgefäß, Pfeifen, ein aufgeschlagenes Buch und Wein – allesamt Dinge, für die sich Grandke begeistern kann, auch wenn er das Pfeiferauchen vor zwei Jahren aufgegeben hat.

Gute Zahlen hinterlassen

„Ich habe meine Arbeit immer gelebt und geliebt“, sagt er rück­blickend. Als Oberbürgermeister anders als im Sparkassenverband, aber mit nicht minder viel Elan, wie er bekundet. Den SGVHT verlässt er im Wissen, dass die 49 hessischen und thüringischen Sparkassen in diesem Jahr gut abgeschnitten haben, deutlich besser als im Jahr zuvor, wie er ausführt, ohne detaillierte Zahlen nennen zu wollen.

Wer beim Wochenmarkt am Offenbacher Wilhelmsplatz umherschlendert, hat gute Chancen, Grandke über den Weg zu laufen. Wenn er Zeit hat, lässt er sich samstags in seiner „guten Stubb“ blicken. Seit Jahrzehnten handhabt er das schon so. Immer mit seiner Vespa, dem „Fortbewegungsmittel der ersten Wahl“, zumindest dann, wenn der Markt ruft.

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