Die neue Chefin von Chanel kann sich behaupten
Von Gesche Wüpper, Paris
Es sei ein ikonisches und bewundertes Unternehmen, schrieb sie auf Twitter. Deshalb fühle sie sich gerührt und geehrt, dass sie zur Vorstandsvorsitzenden ernannt worden sei. Immerhin wird Leena Nair im Januar auf einem Chefsessel Platz nehmen, der zu den begehrtesten der Luxusgüterindustrie zählt. Denn die 52-Jährige wird dann bei Chanel das Ruder von Alain Wertheimer übernehmen. Der 73-Jährige, dem Chanel zusammen mit seinem Bruder Gérard gehört, bleibt Vorsitzender des Verwaltungsrates. Er hatte die operative Geschäftsführung Anfang 2016 zusätzlich übernommen, nachdem die damalige Generaldirektorin Maureen Chiquet den berühmten Modekonzern wegen strategischer Differenzen verließ.
Nair, die 30 Jahre lang für Unilever tätig war, wird die Geschäfte Chanels von London aus leiten. Die neue Partnerschaft an der Spitze der Gruppe solle den langfristigen Erfolg des Unternehmens sichern, der auf der kreativen Freiheit, der Entwicklung des Humanpotenzials und seinem Willen, weltweit positive Auswirkungen zu haben, beruhe, erklärte Chanel. Bei dem Modekonzern übernimmt die indischstämmige Britin die Leitung in einem Schlüsselmoment. Zwar hat sich die Luxusgüterbranche von der Coronakrise erholt, doch angesichts von Omikron und dem nachlassenden Boom in China bleibt die Zukunft ungewiss.
Zweistelliges Wachstum
Nachdem der Umsatz Chanels 2020 um 18% gesunken und das operative Ergebnis um 41% auf 2,5 Mrd. Dollar eingebrochen war, hat der Konzern seit Beginn 2021 wieder zweistellige Wachstumsraten verbucht. Trotz der Krise hatte die Gruppe, für deren Modekollektionen seit dem Tod Karl Lagerfelds 2019 Kreativdirektorin Virginie Viard verantwortlich ist, 2020 mehr als 1 Mrd. Euro in Boutiquen, Digitalisierung und Klimaschutz investiert. Mit der Ernennung Nairs hat Chanel nun ein weiteres Zeichen für die Diversifizierung gesetzt.
Luxusbranche fremde Welt
Die neue Chefin des Konzerns verfügt jedoch über keinerlei Erfahrung in der Mode- und Luxusgüterindustrie. Aber sie hat bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass sie sich in einer ihr fremden Welt behaupten kann. Denn nach dem Abitur in der knapp 400 Kilometer südlich von Bombay gelegenen Großstadt Kolhapur studierte Nair Elektronik und Telekommunikation am Walchand College of Engineering in Sangli. Damals seien dort 3000 Jungen und 18 Mädchen gewesen, berichtete Nair der Tageszeitung „Khaleej Times“ aus Dubai. Die vier Jahre dort hätten sie abgehärtet und bei ihr für ein dickes Fell gesorgt: „Ich habe gelernt, mich in einer vor allem männerdominierten Domäne durchzukämpfen.“
Diese Erfahrung half ihr auch, als sie 1992 nach einem MBA in Personalwesen als Trainee bei Unilever begann und in verschiedenen Werken des Konzerns in Indien arbeitete, wo die Belegschaft vor allem aus Männern bestand. Damals setzte Nair durch, dass in den Werken auch Toiletten für Frauen gebaut wurden, was es bis dahin nicht gegeben hatte. Schnell kletterte die Mutter von zwei Söhnen bei dem Konsumgüterkonzern die Karriereleiter weiter hoch, bis sie 2016 als erste Frau und erste Asiatin die jüngste Personalchefin von Unilever wurde.
Die durch die Pandemie noch verstärkte Ungleichheit ist für sie ein systemisches Problem. Sie bezeichnete die Zulieferketten Unilevers in Brasilien, Indien, den Philippinen und Vietnam als die größte Herausforderung für den Konsumgütergiganten. Bei Chanel wird sich Nair ebenfalls mit dieser Fragestellung beschäftigen müssen. Die Managerin, die in ihrer Freizeit gerne läuft und im Bollywoodstil tanzt, ist Verwaltungsratsmitglied von BT und des Leverhulme Trust. Sie gehörte von 2018 bis 2020 auch als nichtexekutive Direktorin dem britischen Ministerium für Wirtschaft, Energie und Industriestrategie an.