Die Reformerin sieht große Risiken für Italien
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Ihr Name ist untrennbar verbunden mit der wohl einzigen ernsthaften Rentenreform Italiens. Elsa Fornero (74), in der Regierung von Mario Monti zwischen 2011 und 2013 Arbeits- und Sozialministerin, war deshalb über viele Jahre eine der meistgehassten Politikerinnen des Landes. „Monti gab mir zwei Wochen für eine Rentenreform“, sagt sie. Fornero lieferte. Das Rentenalter wurde im November 2011 auf 67 angehoben. Für eine volle Rente brauchte es fortan mehr als 43 Beitragsjahre. Bei der Vorstellung der Pläne brach sie in Tränen aus. Ein Bild, das in Italien bis heute präsent ist.
Fornero ist eine anerkannte Wirtschaftswissenschaftlerin und Rentenexpertin. Sie unterrichtet immer noch an der Universität Turin. Zeitlos elegant gekleidet in Beigetönen sitzt die mit dem Ökonomen Mario Deaglio verheiratete fünffache Großmutter in ihrem kleinen Büro im zweiten Stock des Collegio Carlo Alberto am schattigen Piazza Arborello. „Wir standen im November 2011 vor der Zahlungsunfähigkeit. Der Spread zwischen deutschen und italienischen Zehnjahresanleihen lag bei fast 600 Basispunkten“, sagt sie. Man habe handeln müssen. Dass Premierminister Giuseppe Conte ihre Rentenreform 2018 zurückdrehte und das Renteneintrittsalter bei 38 Beitragsjahren auf 62 senkte, quittiert sie mit Kopfschütteln. „Die Politiker versprechen vieles, aber scheuen davor zurück, das Notwendige zu tun, auch weil sie dafür nicht die notwendigen Mittel haben.“ Fornero ist überzeugt, mit Geduld, Beharrlichkeit und Erklärungen die Italiener überzeugen zu können, dass ohne Reformen die (wenigen) Kinder von heute für die Fehler von heute zahlen müssen. Dinge dieser Art erklärt sie in ihrem Buch: „Wer hat Angst vor Reformen?“
Selbst Mario Draghi scheut davor zurück, zu „ihrem“ System zurückzukehren – obwohl ihn die EU dafür kritisiert. Draghi sei weniger effizient als erwartet, findet sie. Das könne sich rächen. Denn spätestens nach den Wahlen vom Frühjahr 2023 käme wohl eine populistische Mitte-Rechts-Regierung an die Macht. Sie fürchtet, dass das kleine Zeitfenster bis dahin nicht genutzt wird. „Es gibt ein großes Risiko, dass wir es nicht schaffen, das Geld des Europäischen Wiederaufbauprogramms dafür auszugeben, wofür es benötigt wird bzw. dass es schlecht ausgegeben wird.“ Die Bürokratie sei ein großes Hemmnis und die organisierte Kriminalität eine große Gefahr. Fornero befürchtet, dass statt der „nötigen Grundrenovierung des italienischen Systems am Ende nur ein paar Pinselstriche gemacht werden, um die Schäden zu überdecken.“ Lega-Chef Matteo Salvini sei unaufrichtig, wenn er behaupte, durch Frühpensionierungen entstünden neue Jobs. Diese Rechnung gehe nicht auf.
(Börsen-Zeitung, 3.6.2022)