Die Vordenkerin der Europäischen Zentralbank
Die Vordenkerin der Europäischen Zentralbank
Von Martin Pirkl, Frankfurt
Angesichts einer Juristin an der Spitze der EZB und einiger Nicht-Wirtschaftswissenschaftler in den Vorständen der nationalen Notenbanken monieren manche Volkswirte eine angeblich fehlende ökonomische Expertise beim Spitzenpersonal der Notenbanken. Eine Kritik, die ganz sicherlich nicht an EZB-Direktorin Isabel Schnabel gerichtet ist. Die 52-Jährige hat nicht nur ihr Studium der Volkswirtschaftslehre an der Uni Mannheim als Jahrgangsbeste mit der Note 1,0 abgeschlossen. Anschließend legte sie eine steile akademische Karriere hin, die in die Berufung zum EZB-Ratsmitglied im Jahr 2020 mündete – und in eine ganze Reihe von Preisen.
Weltwirtschaftlicher Preis für Isabel Schnabel
Seit diesem Sonntag gehört zu ihnen auch der Weltwirtschaftliche Preis 2024, den Schnabel in der Kategorie Wissenschaft erhalten hat. Er freue sich sehr, eine international herausragende Wirtschaftswissenschaftlerin und weitsichtige Geldpolitikerin ehren zu dürfen, sagte Moritz Schularick, Präsident des IfW Kiel. Das IfW verleiht die Auszeichnung gemeinsam mit der IHK Schleswig-Holstein und der Landeshauptstadt Kiel. „Durch Deine bahnbrechende Forschung hast Du wesentlich dazu beigetragen, das Verständnis über die Zusammenhänge zwischen Geldpolitik, Finanzmärkten und Wirtschaftswachstum zu vertiefen“, führte Schularick aus.
Weitere Preisträgerinnen sind Nicola Leibinger-Kammüller, Vorsitzende des Vorstands des Maschinenbauers Trumpf, in der Kategorie Wirtschaft und die ehemalige Chefökonomin der OECD, Laurence Boone, in der Kategorie Politik. Schularick würdigte Leibinger-Kammüller als eine Leitfigur der Sozialen Marktwirtschaft. Boone wiederum sei eine außergewöhnlich vielseitige Ökonomin und Politikerin, die stets die drängenden Fragen der europäischen Integration im Blick habe.
Viel beachtete Reden
Weitsichtig ist ein Begriff, der immer wieder im Zusammenhang mit Isabel Schnabel fällt. Deutlich früher als etwa EZB-Chefökonom Philip Lane plädierte sie 2022 für Zinserhöhungen. Außerdem ist es der ehemaligen Wirtschaftsweisen nicht nur ein Anliegen, den Menschen die aktuelle Geldpolitik der EZB verständlich zu erklären. Sie setzt sich regelmäßig auch mit grundsätzlichen und zukunftsgerichteten geldpolitischen Fragen auseinander. Ende Mai thematisierte sie in einem viel beachteten Vortrag auf einer Konferenz in Tokio die Auswirkungen der EZB-Anleihekäufe auf die Geldpolitik und die Inflation. Sie mahnte, dieses Instrument künftig nur in Krisenzeiten einzusetzen.
Ein anderes Thema, das Schnabel jüngst zur Diskussion stellte, ist, dass die einzelnen Notenbanker ähnlich der Fed jeweils eigenen Zinsprognosen veröffentlichen könnten. Zudem schlug sie vor, dass die EZB stärker alternative Inflationsszenarien kommunizieren könnte. Also, welche Faktoren dazu führen könnten, dass sich die Teuerung anders entwickelt, als es das Hauptszenario der Notenbank prognostiziert und wie hoch die Inflation dann wäre.
Einflussreich und renommiert
Wie renommiert Schnabel ist, zeigt sich auch daran, dass 2022 nicht EZB-Präsidentin Christine Lagarde, sondern die Deutsche die Zentralbank auf der wichtigsten Notenbankkonferenz der Welt in Jackson Hole vertreten hat. Zudem ist die gebürtige Dortmunderin und Anhängerin des BVB neben EZB-Chefökonom Philip Lane die einzige, die während jeder geldpolitischen Ratssitzung zu der Lage an den Märkten referiert. „Damit habe ich ein bisschen die Möglichkeit, den Ton zu setzen und auf bestimmte Entwicklungen hinzuweisen, die ja dann auch eine Rolle spielen für die folgende Entscheidung“, sagte Schnabel dem „Hessischen Rundfunk“. Sie geht davon aus, dass sie dadurch einen größeren Einfluss auf die Zinsentscheide der EZB nimmt.
Eine wichtige Rolle in Schnabels Leben spielt ihre Familie. „Ich hätte NIIIE auf Kinder verzichtet“, sagte Schnabel 2015 in einem Interview der „Brigitte“. Für die Mutter dreier Töchter war es nicht leicht, Kindererziehung und Arbeit unter einen Hut zu bekommen. Auch wenn ihr Mann, ebenfalls ein Ökonom, sich schon immer bei der Betreuung und im Haushalt engagierte. Als die Kinder noch kleiner waren, nahm Schnabel sie während ihrer Zeit als Professorin hin und wieder in ihre Sprechstunden mit.
Familienmensch
Unter der Woche bleibt der EZB-Direktorin wenig Zeit für ihre Familie. Deshalb versucht sie, die Wochenenden zumindest bis zum Sonntagabend für gemeinsame Aktivitäten freizuhalten. Und auch von Montag bis Freitag gibt es regelmäßig Kontakt. Jeden Morgen, wenn sie in Frankfurt ist, schickt Schnabel ihren Töchtern über Snapchat ein Foto des EZB-Gebäudes. Je nachdem, wie das Licht falle, sehe das Gebäude immer unterschiedlich aus, schwärmt Schnabel über ihren Dienstsitz.
Auch in ihrer Kommunikation mit der Bevölkerung setzt die EZB-Direktorin Social Media ein. Sie ist auf X genauso unterwegs wie auf Instagram. Diese Kanäle gehören für sie in der Kommunikation selbstverständlich mit dazu. Das ist etwas, was sie von ihren Kindern gelernt hat.
Weitsichtig wie Schnabel ist, hat sie auch einen Plan, was sie machen will, wenn am 31. Dezember 2027 ihre Amtszeit bei der EZB endet. Dann will sie an der Uni Bonn in die Lehre zurückkehren – für die sie selbstverständlich ebenfalls einen Preis in der Vita stehen hat.
