Exodus kontrastiert mit sturem Festhalten
cru
Der Exodus westlicher Politiker und Unternehmensführer aus Ämtern und Positionen, die mit Russland in Verbindung stehen, setzt sich fort – und steht im Kontrast zum sturen Festhalten einiger Multi-Amtsträger. Als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine tritt der SPD-Politiker Matthias Platzeck vom Vorsitz des Deutsch-Russischen Forums zurück – eines Vereins, der sich dem gesellschaftlichen Dialog widmet. „Den Völkerrechts- und Kulturbruch, den der russische Präsident mit dem Überfall auf das Nachbarland, auf die Ukraine, befohlen hat, habe ich nicht für möglich gehalten“, erklärte der frühere Ministerpräsident Brandenburgs am Dienstag. „Unzählige Menschen müssen jetzt leiden, die Welt ist noch gefährlicher geworden als vorher. Für meine Fehleinschätzung übernehme ich die Verantwortung. Ich hätte es klarer sehen können.“
Platzeck reiht sich damit in die große Gruppe von Ex-Spitzenpolitikern ein, die Konsequenzen aus dem Ukraine-Krieg gezogen haben. Zuvor hatte schon der frühere Bundeskanzler Österreichs, Christian Kern, sein Mandat im Aufsichtsrat der Russischen Staatsbahn RZD niedergelegt. Auch der ehemalige Ministerpräsident Italiens, Matteo Renzi, verließ den Aufsichtsrat des größten russischen Carsharing-Anbieters Delimobil. Der frühere finnische Premierminister Esko Aho nahm seinen Hut bei der größten russischen Bank Sberbank als unabhängiger Direktor im Verwaltungsrat. Und der französische Ex-Premier François Fillon, der seit Dezember im Aufsichtsrat des russischen Petrochemie-Konzerns Sibur saß und zudem Aufsichtsratsmitglied bei der russischen Ölfirma Sarubeschneft war, räumte ebenfalls seine Posten. Nach Angaben von Rosneft ist der Rückzug von BP aus Russland auch mit dem Ausscheiden von BP-CEO Bernard Looney und seinem Vorgänger Bob Dudley aus dem Rosneft-Aufsichtsrat verbunden.
Damit wächst der Druck auf westliche Politiker und Unternehmensführer, die noch Ämter in Russland innehaben, ebenfalls eine Trennung zu vollziehen. Am stärksten in der öffentlichen Kritik steht Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der unter anderem an seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender des Ostsee-Pipeline-Betreibers Nord Stream AG sowie beim staatlichen russischen Ölkonzern Rosneft festhält.
Die meisten Ämter dieser Art hält jedoch der Nord-Stream-2-Chef Matthias Warnig, gegen den persönlich westliche Sanktionen verhängt worden sind. Er arbeitet unter Gerhard Schröder als Vizeaufsichtsratschef von Rosneft und ist auch Mitglied im Aufsichtsrat der sanktionierten Staatsbank VTB. Auch beim staatlichen Ölpipelinebetreiber Transneft und der Bank Rossiya sitzt Warnig, dem persönliche Verbindungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin nachgesagt werden, im Aufsichtsrat.
Die ehemalige Springer-Managerin Regina von Flemming übernahm im Januar sogar ein viertes russisches Aufsichtsratsmandat beim Steinkohlekonzern Raspadskaya. Auch im Board des Moskauer Telekomkonzerns Mobile Telesystems und im Aufsichtsgremium des Immobilienkonzerns Inteco sowie der Sovcombank ist sie vertreten.
Ex-Kanzler Schröder gerät indes wegen seines Festhaltens an Geschäftsbeziehungen zu Russland immer stärker in die Kritik. Die Heidelberger Sozialdemokraten fordern seinen Parteiausschluss. SPD-Chef Lars Klingbeil bekräftigte in einer Fraktionssitzung die Forderung an Schröder, seine Mandate in russischen Firmen niederzulegen.