Greensill-Skandal weitet sich aus
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Der Skandal um die Verbindungen des vermeintlichen Fintech-Wunderkinds Lex Greensill in die obersten Ebenen der britischen Politik und Verwaltung hat sich in den vergangenen Tagen weiter ausgeweitet. Nicht nur der SMS-Verkehr zwischen Schatzkanzler Rishi Sunak und dem ehemaligen Premierminister David Cameron, der als Berater für Greensill arbeitete, rückt dabei in den Fokus. Boris Johnson weigerte sich am Montag, seinem Vorgänger den Rücken zu stärken. Stattdessen wurde der Jurist Nigel Boardman mit einer unabhängigen Untersuchung der Vorgänge betraut. Doch es sind die guten Beziehungen Greensills zur Ministerialbürokratie, die der Regierung mindestens so große Sorgen machen.
Lukrative Nebentätigkeiten
Wie sie diese Woche zugeben musste, wurde Bill Crothers, einem der ranghöchsten Beamten des Landes, im September 2015 erlaubt, nebenbei als Direktor für Greensill Capital zu arbeiten. Crothers zeichnete lange Jahre für die öffentliche Beschaffung verantwortlich. Nach seinem Abschied vom öffentlichen Dienst arbeitete er weiter als Direktor des auf Lieferkettenfinanzierung spezialisierten Finanzdienstleisters, dessen Kollaps Schockwellen durch Whitehall schickte. Auch andere Beamte hätten nebenbei für Unternehmen gearbeitet, verteidigte sich Crothers. Das sei „nicht ungewöhnlich“. Johnson sagte, es sei nicht klar, dass verstanden wurde, wo die Grenzen lägen. Wie die „Times“ berichtet, wurde das Cabinet Office um Auskunft gebeten, wie viele Beamte solche Nebentätigkeiten ausüben. Dem Blatt zufolge soll die Beteiligung von Crothers an Greensills Unternehmen rund 5 Mill. Pfund wert gewesen sein. Zwischen 2016 und 2020 habe er sich mindestens fünfmal mit John Manzoni getroffen, der damals an der Spitze des öffentlichen Dienstes stand. Über den Inhalt der Gespräche sei nichts bekannt. Crothers war 2007 von der Beratungsgesellschaft Accenture gekommen. Wer auf Erfahrung in der freien Wirtschaft verweisen kann, hat dem Vernehmen nach im britischen öffentlichen Dienst die besten Aufstiegschancen. Die Drehtür zwischen Privatwirtschaft und Bürokratie macht vieles möglich.
Jeremy Heywood, der unter Cameron und später unter Theresa May ranghöchste Beamte in der Downing Street, hatte Greensill Medienberichten zufolge während eines Zwischenspiels als Investmentbanker bei Morgan Stanley kennengelernt. Er beauftragte ihn der „Sunday Times“ zufolge damit, sechs Monate lang zu prüfen, ob Supply Chain Finance eine Möglichkeit für den Staat bieten könnte, seine Lieferanten schneller zu bezahlen. Supply Chain Finance ermöglicht Firmen, ihre Lieferanten auf Pump zu bezahlen. Ein Zwischenfinanzierer begleicht im Rahmen der üblichen Zahlungsfrist die Rechnungen und fordert den Betrag dann später von den Unternehmen zuzüglich Gebühren ein. Das Risiko wird durch Verbriefungen am Markt verteilt. Am Ende habe Greensill über einen eigenen Schreibtisch verfügt.
Die regierenden Konservativen lehnten einen von Labour vorgeschlagenen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Thema Lobbyismus mit 357 zu 262 Stimmen ab. Oppositionsführer Keir Starmer hatte auf eine vollständige Offenlegung der Vorgänge mit öffentlichen Anhörungen gedrungen. Für Regierungsmitglieder sehen die derzeitigen Regeln vor, dass sie mindestens zwei Jahre nach Niederlegung ihres Amts kein Lobbying betreiben dürfen. Cameron hielt sich an diese Regel. Doch trug er sich nicht in das von seiner Regierung 2014 eingeführte Lobbyregister ein.