70. Geburtstag

Herkulesaufgabe für Unruheständler Gottschalk

Eigentlich wollte Helmut Gottschalk seine Laufbahn schon beendet haben. Aber aktuell sieht es nicht so aus, als käme er zur Ruhe.

Herkulesaufgabe für Unruheständler Gottschalk

Von Silke Stoltenberg, Frankfurt

Warum tut der Mann sich das an? Kurz vor seinem 70. Geburtstag, nach langer und erfolgreicher beruflicher Karriere, dessen krönender Ab­schluss die – nach mehreren gescheiterten Anläufen – endlich geglückte Fusion der DZ Bank und WGZ Bank darstellt? Jetzt steht Helmut Gottschalk, der heute sein 70. Lebensjahr vollendet, an der Spitze des Aufsichtsrats der Commerzbank, nachdem der frühere oberste Kontrolleur der DZ Bank und Ex-Vorstandssprecher der Volksbank Herrenberg-Nagold-Rottenburg vor drei Jahren seine aktive Laufbahn eigentlich beenden wollte.

Er freue sich auf komplett freie Seiten im Kalender und wolle zusammen mit seiner Frau möglichst viel von dem nachholen, was auf später verschoben wurde, viel reisen und Skat spielen – das war der Plan damals für den Ruhestand, den er im Interview der Börsen-Zeitung verriet (vgl. BZ vom 29.05.2018). Das Vorhaben glückte nicht so ganz. „Ich bin gerne im Geschäft tätig und war damals eigentlich nicht amtsmüde“, sagt er heute rückblickend im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Insofern wurde er dann doch bald nach seinem „offiziellen Abschied“ Aufsichtsratsvorsitzender beim Internationalen Bankhaus Bodensee in Friedrichshafen, spezialisiert u.a. auf Sportfinanzierung sowie gewerbliche Immobilien und im Besitz der Würth-Gruppe. Er übernahm zudem den stellvertretenden Vorsitz im Stiftungsrat der Wohltätigkeitsorganisation „Hilfe für kranke Kinder“ der Uniklinik Tübingen. Zudem ließ sich der sehr religiöse Gottschalk zum Laienprediger (Prädikant) in der evangelischen Kirche ausbilden und vertrat zuweilen in seinem Heimatkreis Calw, Nahe Pforzheim, am Rande des Schwarzwalds, sonntags den Pfarrer. Und lernte endlich seine Lieblingssprache Französisch.

Nach dem Drama um den Chefsessel im Aufsichtsrat der Commerzbank – die Erkrankung von Vorgänger Hans-Jörg Vetter, der vorgesehene Nachfolger Andreas Schmitz durch die laufenden Cum-ex-Ermittlungen bei HSBC Deutschland aus dem Rennen – hatte der Bund alle Mühen, jemanden zu finden für die heikle Aufgabe, der dauerkriselnden Commerzbank als Aufsichtsratschef zur Seite zu springen. Und das noch im Spannungsfeld mit dem Finanzinvestor Cerberus. Ex-DZ-Bank-Chef Wolfgang Kirsch wurde gefragt – und er brachte dann den Unruheständler aus Calw ins Gespräch. Nach dem Plazet der Ehefrau und einem stundenlangen Gespräch mit Knof stand für Gottschalk fest, dass er die Herausforderung annimmt: „Knof ist ein kompetenter Mann, seine Strategie für die Zukunft der Commerzbank ist richtig angelegt, er ist integer und zielstrebig – es lohnt sich, sich dort zu engagieren“, erklärt Gottschalk, warum er einwilligte. Bei der Aufsicht gab es schnell die Genehmigung, ist Gottschalk doch durch seine langjährige Tätigkeit – seit 2003 im Aufsichtsrat der DZ Bank, seit 2008 stellvertretender, seit 2010 Aufsichtsratschef – und als Wegbegleiter der ersten Fusion unter der neuen EZB-Aufsicht in Deutschland wohl gelitten. Da die DZ Bank selbst bei der Fusion mit der WGZ Bank nicht zum großen Personalkahlschlag ausholte, war Gottschalk auch der Arbeitnehmerseite im Commerzbank-Aufsichtsrat willkommen.

Indes wird er sich in puncto großflächigen Personalabbaus bei der Commerzbank an das ungewohnte Thema gewöhnen müssen, soll doch dort bis Ende 2023 jede dritte Stelle im Inland gestrichen werden. „Die Transformation des Privatkundengeschäfts ist eine große Herausforderung, doch durch die geplante, richtige und stringente Ausrichtung auf das Firmenkundengeschäft und vermögende Kunden werden weniger Filialen benötigt“, zeigt sich Gottschalk überzeugt von der neuen Strategie. Das frühere Konzept, mit kostenfreien Girokonten Privatkunden abzuwerben von den Verbünden, sei dagegen ein Fehler gewesen.

Akribisch und unbeirrt

Gottschalk gilt Weggefährten als ruhiger, gründlicher, fleißiger und pflichtbewusster Mann, der sich akribisch seinen Aufgaben widmet, dem Selbstdarstellung dagegen fremd ist. Gottschalk, der seit Mai nun offiziell im Sessel des Oberkontrolleurs sitzt, geht seine Herkulesaufgabe nun Schritt für Schritt an. „Ich analysiere die Dinge erst einmal sorgfältig, bevor ich mir eine Meinung bilde und Entscheidungen treffe.“ Heißt, das 200-seitige Strategiepapier der Commerzbank wurde gründlichst durchforstet, viele Gespräche im und Touren durch den Konzern standen und stehen an.

Aus der Hüfte zu schießen, ist seine Art definitiv nicht, er lässt sich Zeit, sich seine Meinung zu bilden. Aber wenn er einmal von einer Schlussfolgerung überzeugt sei, dann ließe er sich davon auch nicht mehr abbringen und verfolge diesen Weg unbeirrt, erzählt man über ihn in der genossenschaftlichen Finanzgruppe. Dort hat nicht jeder verstanden, dass er jetzt zur „Konkurrenz“ wechselt. Obwohl er die ersten 20 Jahre seiner Laufbahn beim konkurrierenden Verbund der Sparkassen verbrachte. 1966 startete er als 15-Jähriger bei der Sparkasse Calw, 1982 wechselte er zur Volksbank Herrenberg.

Gewissen Strukturen und Gepflogenheiten der genossenschaftlichen Familie – große Beständigkeit in den Führungsgremien, ein enger Austausch zwischen Aufsichtsrat und Vorstand sowie gut funktionierende Ausschüsse – dürfte Gottschalk vielleicht nun bei der Commerzbank hinterhertrauern. Ganz diplomatisch formuliert er das so: „Ich habe mit Gremienarbeit viel Erfahrung, das ist jetzt hilfreich und gut für die Commerzbank.“ Es gibt hier reichlich zu tun.

Als geschäftsführender Aufsichtsrat im angelsächsischen Sinne versteht sich Gottschalk beileibe nicht. Das Operative sei Sache des Vorstands. Aber er erwartet gründliches Vorgehen, eine fundierte Analyse von „seinen“ Vorständen. „Und es ist auch in Ordnung, wenn nach einer gründlichen Analyse ein Irrweg nicht mehr beschritten wird, um nicht schlechtem Geld weiter gutes hinterherzuwerfen“, sagt er mit Blick auf die soeben revidierte Entscheidung der Commerzbank, die Wertpapierabwicklung an HSBC auszulagern. Das ist der Aufgabenbereich von Chief Operating Officer (COO) Jörg Hessenmüller, dessen Vertrag erst unlängst verlängert wurde. Die Entscheidung für die Auslagerung sei vor der Amtszeit Hessenmüllers getroffen worden, und es spreche für ihn, dass er die Probleme erkannt und die Reißleine gezogen habe, sagt Gottschalk zu den Gerüchten, dass Hessenmüller wackelt. Allerdings sei es natürlich eine finanzielle Belastung und zu früh, um das Thema abschließend zu beurteilen. „Aber man muss sich eins nach dem anderen anschauen, um den Personen gerecht zu werden“, sagt Gottschalk.

Wenn der Vorstand wieder auf sieben Köpfe durch einen neuen Privatkundenvorstand wachsen werde und dort die Aufgabenverteilung sich neu formiert habe, dann sei auch die Führungsetage richtig aufgestellt, blickt Gottschalk nach vorn. Aktuell kümmert sich Personalchefin Sabine Schmittroth um die Privatkunden seit dem Weggang von Michael Mandel. „Zwischen Herrn Knof und mir hat es sich gut angelassen“, zeigt sich Gottschalk optimistisch bei dem Ziel, das Ruder bei der Commerzbank endlich herumreißen zu können und für seine bis 2023 laufende Amtszeit.

Erholung in Kärnten

Seinen Ehrentag wird er daheim und abends im Restaurant in seiner ländlichen Heimat verbringen mit Familie, Freunden, Nachbarn und Weggefährten. Danach geht es erst einmal mit seiner Frau und zweien seiner vier Enkel in den Urlaub nach Österreich an den Faaker See in Kärnten. Ob ihm die Herkulesaufgabe bei der Commerzbank allerdings diesen Winter Luft lässt, endlich mal wieder zu seinem Hobby Skifahren zu kommen, so nicht ohnehin die Pandemie der Fahrt nach Hochsölden wieder einen Strich durch die Rechnung macht, sei dahingestellt.

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