Kullmann verlängert bei Evonik
Von Annette Becker, Köln
Im Mai 2017 war Christian Kullmann als Vorstandschef an die Spitze von Evonik getreten, um den aus der RAG hervorgegangenen Chemiekonzern zum „besten Spezialchemieunternehmen der Welt“ zu machen. Vier Jahre später ist Evonik zwar noch weit entfernt von diesem Ziel – wobei Kullmann ohnehin auf eine genaue Definition verzichtete. Dessen ungeachtet erhält der 52-Jährige in der kommenden Woche vorzeitig einen neuen Vorstandsvertrag. Das zumindest pfeifen die Spatzen vom Dach der Firmenzentrale in Essen, wo am Mittwoch die Hauptversammlung abgehalten wird – erneut als virtuelle Veranstaltung.
Kommunikationsprofi
Diesen Umstand dürfte Kullmann immens bedauern, ist der wortgewandte Wirtschaftshistoriker doch im besten Sinne ein Menschenfreund, der den persönlichen Austausch braucht. Nicht ohne Grund hatte der gebürtige Gelsenkirchener seine berufliche Laufbahn zunächst dem Thema Öffentlichkeitsarbeit gewidmet. Nach dem Start bei der Deutschen Vermögensberatung arbeitete er sieben Jahre lang für die Dresdner Bank.
Dort leitete er von 2000 bis 2003 im Corporate Center die Abteilung Public Relations/Public Affairs, bevor ihn Werner Müller nach Essen abwarb und zum Kommunikationschef der RAG machte. Müller und Kullmann bildeten über viele Jahre ein kongeniales Team, welches das Stiftungsmodell zum Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau nicht nur ersann, sondern auch exekutierte.
Trotz aller Verdienste, die sich Kullmann gerade auch mit Blick auf den Börsengang erwarb, erstaunte es dennoch, dass der umtriebige Kommunikationsprofi 2014 in den Vorstand des inzwischen zu Evonik Industries umbenannten Konzerns bestellt wurde. Stand er seinem Vorgänger Klaus Engel zunächst als Strategiechef zur Seite, stieg er knapp zwei Jahre später schon zum stellvertretenden Vorstandschef auf. In der Hauptversammlung im Mai 2017 folgte die Stabübergabe, Engel verließ das Unternehmen anderthalb Jahre vor Ablauf seines Vertrags.
Arbeiten am Portfolio
Kullmann bekam den klaren Auftrag, den zum reinrassigen Chemieunternehmen gewandelten Konzern auf Wachstum zu trimmen. Neben Übernahmen – die erste Großakquisition, die Übernahme des Spezialadditive-Geschäfts von Air Products, hatte Kullmann noch als Strategiechef eingefädelt – hieß das auch Portfoliobereinigung. Im März 2018 wurde das Methacrylatgeschäft zur Disposition gestellt, ein Jahr später konnte Vollzug gemeldet werden. Derzeit wird nach einem Käufer oder Partner für das unter Druck stehende Geschäft mit Superabsorbern, die in Windeln verarbeitet werden, gesucht. Bis zum Sommer soll der Carve-out abgeschlossen sein, dann soll auch entschieden werden, auf welchem Weg die Trennung erfolgt.
Kullmann, der im März 2020 an die Spitze des Branchenverbands VCI getreten war, hat in seiner vierjährigen Amtszeit also einiges gewuppt. Einzig mit Blick auf die finanziellen Ziele vermag die Erfolgsbilanz noch nicht zu überzeugen, auch wenn man Kullmann zugutehalten darf, den breit aufgestellten Konzern respektabel durch das Pandemiejahr 2020 gesteuert zu haben.
Am Aktienkurs hapert es
Hatte sich der Evonik-Chef kurz nach Amtsantritt zum Ziel gesetzt, mittelfristig eine operative Marge von 18 bis 20 % zu erwirtschaften, gibt es an dieser Stelle noch Luft nach oben. Seit Kullmanns Amtsantritt tritt Evonik bei dieser Kennziffer mehr oder minder auf der Stelle. Das spiegelt sich auch im Aktienkurs, der mit knapp 30 Euro noch immer signifikant unter dem Ausgabepreis – die Aktie wurde im Mai 2013 zu 32,20 Euro begeben – verharrt.
Wenngleich der Manager, der den Auftritt vor großem Publikum liebt, in der letzten Präsenzhauptversammlung eingestand, „alles andere als zufrieden“ zu sein mit der Kursentwicklung, hat der Evonik-Chef andere Prioritäten. Denn die RAG-Stiftung ist mit knapp 60 % weiterhin der größte Einzelaktionär, und ihr kommt es vor allem auf die stabile Dividende an. Dass es dabei bleibt, dafür sorgt Stiftungschef Bernd Tönjes, der den Aufsichtsrat führt. Dank der Zusage der Stiftung, langfristig signifikant beteiligt bleiben zu wollen, muss sich Kullmann auch nicht sorgen, morgen ins Visier aktivistischer Investoren zu geraten.