Lilium wirft Enders’ Zukunftspläne über den Haufen
Von Lisa Schmelzer, Frankfurt
Der ehemalige Airbus-Chef Tom Enders soll Vorsitzender des Verwaltungsrats der Lilium N.V. werden, die nach dem Zusammenschluss mit der Qell Acquisition Corp. im Sommer neu entstehen wird. Dies teilte das Flugtaxiunternehmen Lilium nach einer ersten Online-Analystenkonferenz am Dienstagabend mit. Enders ist seit Anfang des Jahres Mitglied des Beirats der Lilium GmbH, die mit dem leeren Börsenmantel (Spac) Qell verschmolzen werden soll und darüber an die US-Technologiebörse Nasdaq strebt.
Lilium arbeitet an einem siebensitzigen, voll elektrisch angetriebenen Flugzeug mit einer Reichweite von mehr als 250 Kilometern, das auf Shuttle-Flügen im Regionalverkehr eingesetzt werden soll. Die Pläne werden in der Fachwelt zum Teil mit Skepsis verfolgt. „Es ist ein steiniger und nicht risikofreier Weg“, weiß auch Enders, „aber wie sollen wir die Luftfahrt voranbringen, wenn nicht mit frischen Ideen und mutigen Jungunternehmern?“
Bei Lilium arbeiten seiner Ansicht nach „einige der besten Leute, die ich in meiner Karriere getroffen habe“, hatte Enders vor ein paar Monaten als Erklärung für sein Engagement angeführt. Die Geschichte der Luftfahrt sei voll von sogenannten Experten und Zweiflern, die vorher erklärt hätten, dass alles, was heute fliegt, unmöglich oder unpraktisch wäre. Lilium stehe wie kaum ein anderes Luftfahrtunternehmen in Europa für frischen Pioniergeist, für einen mutigen Aufbruch in Neuland. „Diese Art von Pioniergeist, Innovation und unternehmerischem Mut hat mich schon immer fasziniert – und in meiner fast 30-jährigen Karriere in der Luft- und Raumfahrtindustrie angetrieben“, so der langjährige Airbus-Chef, der unter anderem im Aufsichtsrat der Lufthansa und von Knorr-Bremse sitzt.
Daniel Wiegand, Mitbegründer und CEO von Lilium, sagte: „Tom Enders ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit der Luftfahrtindustrie. Wir sind hocherfreut, dass er sein Engagement für Lilium bekräftigt, indem er sich bereiterklärt, die Rolle des Verwaltungsratsvorsitzenden zu übernehmen, wenn Lilium eine Aktiengesellschaft wird.“ Man werde „Toms außergewöhnliches Netzwerk“ in der gesamten Luftfahrtbranche nutzen. Enders bedankte sich für das ihm entgegengebrachte Vertrauen. Er werde sich jetzt darauf konzentrieren, „einen Verwaltungsrat der Weltklasse zusammenzustellen“.
Der heute 62-Jährige hat den europäischen Luftfahrtkonzern Airbus viele Jahre lang maßgeblich geprägt, zunächst als Chef der Verteidigungssparte, dann als Verantwortlicher für das zivile Geschäft. 2012 war Enders, der verheiratet und Vater von vier Kindern ist, an die Konzernspitze gerückt und hatte anschließend kaum einen Stein auf dem anderen gelassen. So verlegte er die aus politischen Gründen in Paris und München ansässigen Konzernzentralen nach Toulouse, wo die Flugzeugbausparte ihren Sitz hat. Traditionell handele es sich im Luftfahrtgeschäft eher um „komplexe, bürokratische Bestien“, gab er einst zu, tat aber vieles dafür, die Strukturen bei Airbus zu vereinfachen. Unter seiner Führung stellte sich der Konzern integrierter und internationaler auf.
Ein Irrtum
In den kommenden Jahren gehe es darum, Grenzen zu überschreiten, hatte Enders seinen Nachfolgern beim Abschied von Airbus 2019 mit auf den Weg gegeben. Es müssten neue Formen der Zusammenarbeit her. Airbus werde vermutlich niemals ein Spezialist für künstliche Intelligenz, aber man müsse entsprechende Partnerschaften vorantreiben. Neue Konkurrenz erwächst vor allem in China, aber auch in anderen Industrien. „Die Luftfahrt ist bereits auf der Agenda der Milliardäre aus dem Silicon Valley. Was wäre, wenn eine der Westküsten-Größen sich mit unserem wichtigsten Wettbewerber Boeing zusammenschließt?“ Unternehmenslenker müssten an vorderster Front stehen und wegweisende Entscheidungen treffen. „So wurde es vor 20 Jahren gemacht. Und heute ist das noch wichtiger.“
„Für mich beginnt eine neue Phase“, sagt der Manager vor zwei Jahren. Im fliegerischen Bereich habe er zwar noch einiges vor. Allerdings eher als Privatperson, denn: „Mit der Luft- und Raumfahrtindustrie habe ich abgeschlossen.“ Das war ein Irrtum.