Mailänder Ängste um die Borsa
Von Gerhard Bläske, Mailand
Gianluca Garbi (51) ist zum Vizepräsidenten der Borsa Italiana ernannt worden. Für den CEO der Banca Sistema ist es eine Rückkehr. Denn Garbi war von 1998 bis 2007 CEO der zur Borsa gehörenden Staatsanleihe-Handelsplattform MTS. Der gebürtige Mailänder, der nach einem Wirtschaftsstudium an der Università Cattolica seiner Heimatstadt für J.P. Morgan und die BNP Paribas arbeitete, war von 2007 bis 2011 Head of Global Public Sector und Head of Capital Market Italy bei der Commerzbank. Außerdem war er Ende der 90er Jahre Berater des damaligen Generaldirektors im Schatzamt, Mario Draghi. Seit 2011 steht Garbi an der Spitze der Banca Sistema, die vor allem mit dem öffentlichen Dienst zusammenarbeitet.
Garbi gilt, neben Euronext-CFO Giorgio Modica, als einer der Treiber des von Ex-Wirtschafts- und Finanzminister Roberto Gualtieri gepushten Verkaufs der Börse Mailand an Euronext. Der frühere Eigner, die London Stock Exchange (LSE), musste die Borsa aus kartellrechtlichen Gründen verkaufen. Garbi zog im Mai 2021 in den Verwaltungsrat der Borsa ein. Seine jetzige Ernennung bedeutet nach Einschätzung der Zeitung „La Verità“ eine weitere Einengung des Handlungsspielraums von Borsa-CEO Fabrizio Testa.
Damit verbunden ist ein schleichender, aber sich verstärkender Bedeutungsverlust der Rolle der Mailänder Börse, die unter ihrem früheren Eigner LSE über wesentlich mehr Freiraum verfügte. Seit der Übernahme hat es einen wahren Exodus von führenden Managern gegeben, allen voran Börsenchef Raffaele Jerusalmi, der die Börse Ende 2021 nach elf Jahren an der Spitze vor Ablauf seines Vertrags verließ. Unter der LSE saß der Mailänder Börsenchef im Verwaltungsrat der Mutter. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Die Hauptversammlung Ende April bestimmte Claudia Parzani zur neuen Präsidentin der Borsa. In Mailänder Finanzkreisen werden ihr mögliche Interessenkonflikte mit ihrer Rolle als Partnerin der Wirtschaftskanzlei Linklaters, wo sie vor allem börsennotierte Kunden betreut, nachgesagt.
Für großes Aufsehen in Italien sorgt auch der vermutlich bevorstehende Auszug aus dem historischen Hauptsitz, dem Palazzo Mezzanotte. Das hätte auch symbolisch große Bedeutung. Denn die Mailänder Börse, die mehr als ein Drittel zum Umsatz und noch mehr zum Gewinn der Mehrländerbörse beiträgt, ist das größte Asset von Euronext. Doch der neue Eigentümer ordnet alles einer Logik der Rationalisierung und Kosteneinsparung unter und nimmt keine Rücksicht auf italienische Befindlichkeiten.
Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass die vor der Corona-Pandemie sehr gut besuchten Roadshows und Treffen zwischen Investoren und börsennotierten italienischen Unternehmen auch künftig nur noch in virtueller Form stattfinden sollen. Der fruchtbare Austausch, bei dem auch die Zwischentöne zählen, fällt damit weg. Außerdem sollen offenbar die Tarife für Dienstleistungen und Handelstransaktionen erhöht werden. Keine guten Neuigkeiten für Mailand.