Massa wird „Superminister“ in Argentinien
Von Andreas Fink, Buenos Aires
Es war einer dieser Sätze, die ausgesprochen, aber erst Monate später verstanden werden: „Seit sieben Jahren studiere ich Wirtschaftswissenschaften“, hatte Sergio Massa einmal bei einem Arbeitsessen geäußert. Nun zitieren ihn die Zeitungen als Beleg dafür, dass Massa nicht über Nacht zum „Superminister“ für Finanzen, Wirtschaft und Landwirtschaft erklärt wurde – sondern nach jahrelanger Vorbereitung. Nun soll der 50-jährige bisherige Parlamentspräsident den totalen Absturz des Landes verhindern oder zumindest bis zu den Wahlen im Oktober kommenden Jahres aufschieben.
Nach dem überraschenden Rücktritt des entnervten Finanzministers Martín Guzmán am 4. Juli hatte Massa schon massiv in die Regierung gedrängt, bekam aber nicht das Placet der entzweiten Staatsführer Alberto Fernández und Cristina Kirchner. Dass es nun doch geklappt hat, liegt an der chaotischen Entwicklung des Landes im Juli. Bürger und Unternehmen fliehen aus dem Peso, der im Juli von etwa 220 auf 320 Pesos pro Dollar anstieg. Dieser Sprung wird die Inflation treiben, im Juli sind die Preise zwischen 8 und 10% gestiegen. Und die Zentralbank hat keine flüssigen Devisenreserven mehr. Sämtliche Löcher werden mit der Notenbankpresse gestopft, was nicht nur weitere Inflation generieren wird, sondern auch einen deutlichen Konflikt mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der dem Land im Januar einen zehnjährigen Kredit gewährt hat – unter Reformauflagen, die das Land bislang nicht eingehalten hat.
Dieser fatale Mix hat bewirkt, dass Kirchner Massa nun zuließ, obwohl sie diesen persönlich verabscheut, weil er 2013 aus ihrer Regierung ausgeschert war und ihr eine Schlappe bei den Parlamentswahlen eintrug. Auch wenn Massa 2019 seine „Erneuerungsfront“ in Kirchners Regierungskoalition einbrachte, herrschte stetes Misstrauen zwischen den beiden. Dass Kirchner Massa nun doch vorschickt, deuten viele als Beweis für Kirchners Zwickmühle: Gelingt es nicht, die Inflation einzufangen, dürfte ihre Bewegung bei den Parlaments- und Präsidentenwahlen im kommenden Oktober pulverisiert werden. Aber wenn die Populisten nun einen harten Sparkurs verordnen, wird ihr Anhang ebenfalls darunter leiden. Viele glauben, dass Kirchner Massa nun vorschickt, damit dieser sich verbrennt und nicht sie selbst. Sie hat seit dem 4. Juli kein öffentliche Wort geäußert und will wohl auch weiter schweigen.
Massa, der enge Beziehungen zur US-Botschaft und zur Wall Street pflegt, will die Vereinbarung mit dem IWF einhalten und versuchen, den Agrarsektor mit einem Steuerfenster dazu zu bewegen, einen erheblichen Teil der in mobilen Silos gehorteten Getreideernte auf den Markt zu bringen, um mit Hilfe der Exportdollars die Devisenreserven der Notenbank zu stärken. Und er werde versuchen, was Experten seit Jahren empfehlen: Sämtliche Industrien steuerlich entlasten, die exportieren: Landwirtschaft, Bergbau (vor allem Lithium) und jene schon anderthalb Millionen Argentinier, die via Internet für ausländische Auftraggeber arbeiten, aber ihre Honorare nicht ins Land bringen, weil der Staat etwa 80% ihres Einkommens abnähme. Solchen Aberwitz muss Massa angehen.
Ob es gelingt? Die meisten Experten sind skeptisch. Denn Kirchners Launen sind berüchtigt und ihre persönlichen Nöte drängend. Kommende Woche muss sie sich vor Gericht das Plädoyer eines Staatsanwaltes anhören, der ihr schwere Korruption vorwirft. Dass sie den neuen Minister frei walten lassen wird, glauben die wenigsten. Den Mann, den Kirchner 2019 zum Präsidenten machte, hat sie nun total demontiert. Lange hatte Fernández versucht, den Aufstieg des „Super-Sergio“ aufzuhalten. Nun muss er ihn aushalten.