Nobelpreis für „Revolution der empirischen Forschung“
Von Alexandra Baude, Frankfurt
Die diesjährigen Wirtschaftsnobelpreisträger haben „gemeinsam die empirische Forschung in den Wirtschaftswissenschaften revolutioniert“ – dermaßen kurz gefasst begründet die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften ihre Entscheidung. Der 53ste Preis der Sveriges Riksbank für Wirtschaftswissenschaften im Gedenken an Alfred Nobel, wie er offiziell heißt, geht zur einen Hälfte an den Kanadier David Card „für seine empirischen Beiträge zur Arbeitsökonomie“, die andere Hälfte geht gemeinsam an den Amerikaner Joshua D. Angrist und den gebürtigen Niederländer Guido W. Imbens „für ihre methodischen Beiträge zur Analyse kausaler Zusammenhänge“.
Die drei Forscher hätten gezeigt, „welche Schlussfolgerungen über Ursache und Wirkung aus natürlichen Experimenten gezogen werden könnten“. Ihre Beiträge hätten sich ergänzt und gegenseitig verstärkt und ihr Ansatz habe auf andere Bereiche übergegriffen. Sie hätten gezeigt, dass mit Hilfe von natürlichen Experimenten zentrale Fragen der Gesellschaft beantwortet werden können, etwa wie sich Mindestlöhne und Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt auswirken, argumentiert Göran Hansson, Generalsekretär der Akademie.
„Drei sehr gute Freunde“
Der in Berkeley an der University of California lehrende Card (65) habe mit Experimenten gezeigt, dass eine Anhebung des Mindestlohns entgegen der zuvor herrschenden Meinung nicht zwangsläufig zu sinkender Arbeitslosigkeit führen müsse. Der 1960 geborene Angrist, der am MIT lehrt, und der 1963 geborene Imbens hätten den Rahmen geschaffen, der die Herangehensweise von Forschern an empirische Fragen unter Verwendung von Daten aus natürlichen Experimenten oder randomisierten Feldexperimenten radikal verändert habe. Imbens, der Professor an der renommierten US-Universität Stanford ist, war der Pressekonferenz telefonisch zugeschaltet – der Anruf aus Stockholm dazu erreichte ihn wegen der Zeitverschiebung mitten in der Nacht. Er sei völlig überwältigt gewesen und freue sich besonders, den Preis mit „zwei sehr guten Freunden“ zu teilen. Angrist, so verriet er, war sein Trauzeuge bei seiner Heirat mit der Ökonomin Susan Athey.
Bei einem sogenannten natürlichen Experiment werden Situationen genutzt, die im wirklichen Leben auftreten und zufälligen Experimenten ähneln. Diese natürlichen Experimente können auf natürliche Zufallsschwankungen, institutionelle Regeln oder politische Veränderungen zurückzuführen sein. Dabei können die Menschen nicht gezwungen werden, an dem untersuchten Programm teilzunehmen – es könne ihnen aber auch nicht untersagt werden. Als Beispiel führte Kommittemitglied Eva Mörk Fragen auf wie etwa nach den Zusammenhang zwischen Einkommen und Gesundheit, Bildung und Einkommen oder den Effekt der Lockdowns auf die Ausbreitung des Coronavirus.
Favoriten gehen leer aus
Deutsche Ökonomen hatten bereits erwartet, dass auch in diesem Jahr die Auszeichnung an US-amerikanische Forscher gehen würde. 2020 hatten die US-Ökonomen Paul R. Milgrom und Robert B. Wilson mit ihren Forschungen zu Auktionstheorien und der Erfindung neuer Auktionsformate die Nase vorne (siehe Auflistung). Getippt wurde in diesem Jahr laut einer dpa-Umfrage unter anderem auf den früheren US-Notenbankchef Ben Bernanke. Seit längerem immer wieder als Favorit genannt werden aber auch der vielseitig forschende türkisch-amerikanische MIT-Professor Daron Acemoglu oder der an der Universität Zürich lehrende österreichisch-schweizerische Ökonom Ernst Fehr. In ersten Reaktionen zeigten sie sich begeistert: Ökonomie-Professor Jens Südekum von der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität twitterte: „Bin super happy über die Auswahl und kann mir keine würdigeren Preisträger vorstellen als diese drei, sie haben die Econ-Welt verändert.“ „Diese Analyse ist das Herzstück von allem, was wir als empirische Ökonomen in unserer Forschung tun und was wir unseren Studierenden vermitteln“, kommentierte FS-Finanzprofessor und Vizepräsident Forschung Sascha Steffen.
Hanssons letzter Auftritt
Zum Ende der Pressekonferenz erbat sich Hansson noch „einen persönlichen Kommentar“. Es sei seine letzte Nobelpreis-Bekanntgabe gewesen, sagte der 70-jährige Schwede. „Nach 12 Jahren, 24 Pressekonferenzen und 67 Telefonaten mit Preisträgern.“ Es sei „eine aufregende Reise und ein großes Privileg gewesen“. Zum Jahreswechsel übernimmt für die kommenden vier Jahre Hans Ellegren. Der Professor für Evolutionsbiologie an der Universität Uppsala wurde auf der Mitgliederversammlung der Akademie am 9. Juni gewählt.
Der Mediziner und Zellbiologe Göran K. Hansson war seit 2007 Mitglied und seit 2015 Generalsekretär der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften, die für die Vergabe der Nobelpreise in den Kategorien Physik, Chemie und Wirtschaftswissenschaften verantwortlich ist. Zuvor war er 17 Jahre lang Mitglied – und zuletzt ebenfalls Generalsekretär – des Nobelkomitees für Medizin des Karolinska-Instituts.
Der Wirtschaftsnobelpreis geht im Gegensatz zu den klassischen Nobelpreisen nicht auf das Testament des Dynamit-Erfinders Alfred Nobel (1833 bis 1896) zurück. Der in diesem Jahr mit 10 Mill. skr (rund 980000 Euro) dotierte Preis wurde von der Riksbank erst 1968 zum Anlass ihrer 300-Jahr-Feier gestiftet. Daher heißt er auch nicht offiziell Nobelpreis, sondern „Preis der schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften zum Andenken an Alfred Nobel“. Verliehen wird er aber zusammen mit den traditionellen Nobelpreisen am Todestag Nobels, dem 10. Dezember.
Von den 53 Auszeichnungen, die zwischen 1969 und 2021 verliehen wurden, gingen 25 an Einzelpersonen, 20 an zwei Preisträger, und achtmal teilten sich drei Forscher den Wirtschaftsnobelpreis. Bislang war Esther Duflo die Jüngste aller Laureaten: Sie erhielt 2019 im Alter von 46 Jahren den Wirtschaftsnobelpreis. Duflo ist nach Elinor Ostrom, die 2009 ausgezeichnet wurde, erst die zweite Frau die diese Ehre erfuhr. Zudem war sie auch die erste, die gemeinsam mit ihrem Ehepartner – Abhijit Banerjee – den Preis erhielt. 2007 war Leonid Hurwicz mit 90 Jahren der älteste Träger des Wirtschaftsnobelpreises. Bisher war der Bonner Reinhard Selten der erste Deutsche Laureat: 1994 wurde er gemeinsam mit John Nash und John Harsanyi für ihre wegweisenden Beiträge zur nichtkooperativen Spieltheorie gewürdigt. Bei den anderen Kategorien reüssieren aber durchaus deutsche Forscher – in diesem Jahr etwa Klaus Hasselmann (Physik) und Benjamin List (Chemie). Mit der gestrigen Bekanntgabe endete der diesjährige Auszeichnungsreigen.