Die Frauen von Labour

Angela Rayner setzt sich durch

Angela Rayner wird Labour-Chef Keir Starmer noch zu schaffen machen. Die stellvertretende Parteivorsitzende ist die einzige Linke in seiner Führungsmannschaft.

Angela Rayner setzt sich durch

Angela Rayner weiß, wie man sich durchsetzt

Von Andreas Hippin, London

Angela Rayner (44) wird im Falle eines Wahlsiegs vom Labour im Juli stellvertretende Premierministerin. Die ehemalige Gewerkschaftsfunktionärin verkörpert den Markenkern der ehemaligen Arbeiterpartei, in der zunehmend gutsituierte Menschenrechtsanwälte wie Keir Starmer, Sadiq Khan oder Emily Thornberry den Ton angeben.

Rayner beschreibt sich als „Marmite-Politikerin“. Wie der Unilever-Hefeaufstrich wird die Mutter dreier Söhne entweder gehasst oder geliebt. Politisch verortet sie sich als Sozialistin, aber nicht im Lager der Corbynistas, der Anhänger des ehemaligen Parteichefs Jeremy Corbyn. Gerade fährt sie in einem eigenen Wahlkampfbus Tausende von Kilometern durchs Land, um Stimmen zu mobilisieren.

Unterstützung für Diane Abbott

Wäre sie nicht von den Mitgliedern gewählt worden, hätte Parteichef Keir Starmer sie wohl längst ins Abseits gedrängt. Zuletzt stellte sie sich hinter Diane Abbott, die 1987 als erste schwarze Frau ins Unterhaus gewählt wurde. Abbotts Mitgliedschaft in der Labour-Fraktion war nach antisemitischen Äußerungen in einem Leserbrief, für die sie sich allerdings sogleich entschuldigt hatte, ausgesetzt worden.

Als ihre Suspendierung in letzter Sekunde vor Auflösung des Parlaments aufgehoben wurde, legte man der 70-Jährigen nahe, sich aufs Altenteil zurückzuziehen. Andere linke Abgeordnete wie Faiza Shaheen wurden nicht wieder aufgestellt.

Mächtige Politikerin

Es gebe keinen Grund, warum Abbott nicht für Labour antreten sollte, erklärte Rayner daraufhin. Und das sage sie
als stellvertretende Parteivorsitzende. Damit blieb auch Starmer keine andere Wahl, als eine Kandidatur Abbotts zu unterstützen.

Rayner weiß, wie man sich durchsetzt. Für viele Konservative war ihr Einschreiten ein Beleg dafür, wer in der Partei wirklich das Sagen hat. Das Magazin „New Statesman“ führte sie im vergangenen Jahr auf der Liste der mächtigsten Personen der britischen Linken auf
Platz 8. Ihr Lieblingsthema: Arbeitnehmerrechte.

Schwanger ohne Schulabschluss

Aufgewachsen ist sie in einem Sozialwohnungsblock in Stockport (Greater Manchester). „Wir hatten keine Bücher, als ich klein war, weil meine Mutter nicht lesen und schreiben konnte“, sagte sie der „Financial Times“. Als sie mit 16 ohne Abschluss die Gesamtschule verließ, war sie schwanger. Ihr weiterer Lebensweg schien vorgezeichnet.

„Mir wurde gesagt, dass ich es nie zu etwas bringen und mit 30 in einer Sozialwohnung mit einem Haufen Kinder leben würde“, sagte sie vor vielen Jahren dem „Guardian“. „Aber das bin nicht ich, auch wenn ich mir kein Urteil über Menschen erlauben würde, die sich in so einer Situation befinden.“

Fest verwurzelt in der Gewerkschaft

Sie arbeitete für die Lokalverwaltung als Haushaltshilfe für pflegebedürftige Menschen. Sie habe „zuerst nicht gewusst, was eine Gewerkschaft ist“, sagte Rayner. Aber als jüngste Pflegekraft in Stockport habe sie sich ständig mit ihren Vorgesetzten angelegt, was dazu führte, dass sie jemand für den Betriebsrat vorschlug.

Die Gewerkschaft Unison wurde ihre politische Heimat. 2010 heiratete sie den 17 Jahre älteren Unison-Funktionär Mark Rayner. Sie kämpfte gegen die Privatisierung der häuslichen Pflege und war bald die hochrangigste Gewerkschafterin im englischen Nordwesten.   

Von Remain zu Corbyn

Rayner wurde 2015 für den Wahlkreis Ashton-under-Lyne ins House of Commons gewählt. Sie war für den Verbleib des Landes in der Europäischen Union. Damals unterstützte sie auch noch Andy Burnham im Kampf um die Parteispitze, doch ein Jahr später war sie eine der 18 Labour-Abgeordneten, die sich hinter Jeremy Corbyn stellten. Sie verteidigte ihr Mandat bei den Unterhauswahlen 2017 und 2019, zuletzt jedoch mit schwindendem Vorsprung. Vor vier Jahren löste sie Tom Watson als stellvertretende Parteichefin ab.

Rayner ist keine Leisetreterin. Sie bezeichnete einige Tory-Abgeordnete als „Abschaum“, wovon sich Starmer distanzierte. Der konservative Politiker Michael Ashcroft verfasste unter dem Titel „Red Queen?“ eine wenig schmeichelhafte Biografie.

Lust auf Wohneigentum

Man darf annehmen, dass es viele Vertreter des rechten Flügels von Labour gerne gesehen hätten, wenn Rayner über einen Mini-Skandal gestolpert wäre, bei dem es um die von ihr erworbene Sozialwohnung in Stockton ging. Hatte sie bei deren Verkauf nicht ausreichend Kapitalertragsteuer gezahlt? Wohnte sie überhaupt dort, wo sie gewählt werden wollte? Am Ende wurden alle Ermittlungen gegen sie eingestellt.

Allein der Vorwurf der Heuchelei bleibt: Schließlich erwarb die mittlerweile geschiedene Sozialistin ihren Wohnsitz unter dem von Margaret Thatcher propagierten „Right to Buy“. Die von Labour heftig kritisierte Politik ermöglichte zahlreichen einkommensschwachen Haushalten den Erwerb von Wohneigentum.

Konkurrenz von links

Immobilien haben es ihr offenbar angetan. Die für gewöhnlich gut informierte Website Order-order.com berichtet von einer 6.000 Pfund schweren Spende von Pentland Communications für Rayner im vergangenen Jahr. Die PR-Firma vertritt die Interessen einer ganzen Reihe von Wohnungsbaugesellschaften.

Bei den Wahlen am 4. Juli bekommt sie Konkurrenz von links: Die Workers Party von George Galloway hat Samira Hassan in Rayners Wahlkreis aufgestellt. Ihr Hauptthema dürfte der Krieg im Gaza-Streifen sein.

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