Rachel Reeves kommt unter Druck
Schatzkanzlerin Reeves
kommt unter Druck
Von Andreas Hippin, London
Die britische Schatzkanzlerin Rachel Reeves (45) ist im Juli mit reichlich Vorschusslorbeeren an den Start gegangen. In der City erfreute sie sich dank ihres bodenständigen Auftretens großer Beliebtheit. Zudem wurde ihr großer Sachverstand unterstellt.
Davon ist vier Monate nach ihrem Amtsantritt nicht mehr viel übrig. Ihr Haushaltsentwurf hat nicht die erhoffte Gewissheit gebracht, dass Großbritannien fortan einen Wachstumspfad beschreiten wird. Zudem werden Zweifel an der Qualifikation der Labour-Politikerin laut, nachdem in ihrem Linkedin-Lebenslauf Änderungen vorgenommen wurden.
„Rachel aus der Buchhaltung“
Sie habe nach ihrer Zeit als Ökonomin bei der Bank of England bis Dezember 2009 einen Vollzeitjob als Volkswirtin bei Halifax Bank of Scotland (HBOS) gehabt, hieß es dort zunächst. Dann war nur noch von einem Job im Retail Banking bei Halifax die Rede.
„Rachel aus der Buchhaltung“ müsse ihren Lebenslauf in den Mülleimer werfen, sagte der ehemalige Tory-Abgeordnete Lee Anderson im Unterhaus. Mittlerweile sitzt er dort für Reform UK.
Spindoktoren versagen
Aufgedeckt hatte die Unstimmigkeiten zwischen den bisherigen Angaben zu ihrer Karriere und den nachträglichen Korrekturen vor einem Monat das konservative Blog Guido Fawkes, das es mittlerweile seit 20 Jahren gibt. Seitdem schafften es die Spindoktoren des Schatzamts nicht, das Thema aus den Schlagzeilen zu drängen. Die „Daily Mail“ hatte am Wochenende gleich zwei Seiten dafür übrig.
Unweigerlich entsteht der Eindruck, dass Reeves ihren Lebenslauf vor den Wahlen aufgehübscht hat, um so qualifiziert wie möglich für das Amt der Schatzkanzlerin zu erscheinen. Dem Blog zufolge hatte sie eine Rolle im mittleren Management einer Support-Abteilung, die sich um Verwaltungsvorgänge, IT-Angelegenheiten, kleinere Projekte und Planung kümmerte. Sie sei Teil eines Teams von drei Mitarbeitern gewesen, weit entfernt von der volkswirtschaftlichen Abteilung.
„Drei Ebenen unter mir“
Kevin Gillett, ein ehemaliger HBOS-Direktor, beschreibt Reeves in einem Post auf Linkedin als Complaints Support Manager „drei Ebenen unter mir“. Sie sei im Zuge eines Spesenabrechnungsskandals beinahe gefeuert worden, heißt es dort. Reeves nahestehende Quellen bestritten das gegenüber der „Daily Mail“. Das Blatt „i“ berichtete, Reeves habe die Titel „Head of Planning, Customer Relations“ und „Head of Customers, Mortgages“ geführt.
All das lud ihre politischen Gegner dazu ein, die anderen Angaben der Schatzkanzlerin zu ihrer Vergangenheit unter die Lupe zu nehmen. Dabei zeigte sich, dass auch an anderen Stellen geschönt worden war. So handelte es sich bei Reeves zwar schon in jungen Jahren um eine gute Schachspielerin. Die Lehrertochter war aber keinesfalls das Wunderkind, als das sie von vielen Medien beschrieben wurde.
Schachmatt
Ihr bestes Resultat 1993 war der „Daily Mail“ zufolge der vierte Platz im British Chess Association Girls Championship, einem Wettbewerb, an dem sich lediglich 28 Unter-21-Jährige beteiligten. Dem Blog Guido Fawkes zufolge erreichte sie beim British Girls U14 Championship Platz 26, beim British U13 Championship Platz 29 und beim British U12 Championship Platz 12.
All das weckt Zweifel an der Ehrlichkeit der Politikerin – soll es vermutlich auch, denn die Angaben stammen von ihren politischen Gegnern. Schlimmer für Reeves ist, dass sie langsam die Unterstützung der Wirtschaft verliert. Die Firmen seien von der Erhöhung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung auf dem falschen Fuß erwischt worden, sagte Rain Newton-Smith, die Chefin des Unternehmensverbands CBI auf dessen Jahreskonferenz am Montag. Reeves wurde dort ein frostiger Empfang zuteil.
Stellenstreichungen voraus
Einer CBI-Umfrage zufolge plant fast die Hälfte der befragten Unternehmen Stellenstreichungen. Fast zwei Drittel wollen weniger neue Mitarbeiter einstellen. Offenbar kamen die Veränderungen bei der National Insurance für die Betroffenen so unerwartet wie die Streichung des Heizkostenzuschusses für Rentner oberhalb der Armutsgrenze.
Dabei hatte alles so gut angefangen. Mehr als 120 Unternehmensgründer, CEOs und ehemalige Führungskräfte unterstützten vor den Wahlen mit einem von der „Times“ veröffentlichten Schreiben die wirtschaftspolitischen Ziele von Labour und erklärten, es sei „Zeit für einen Wechsel“. Unter ihnen fand sich John Holland-Kaye, der ehemalige Chef des Londoner Flughafens Heathrow, ebenso wie Andrew Higginson, der Chairman von JD Sports.
Besser als der Rest
Inzwischen trösten sich viele damit, dass Reeves immer noch besser sei als die möglichen Alternativen. Dazu gehörte etwa die Parteilinke Anneliese Dodds, die Premier Keir Starmer am Ende zur Frauen- und Gleichstellungsministerin machte. Reeves gehörte nie zu den „Trendy Lefties“ und unterstützte im Kampf um die Parteiführung gegen Jeremy Corbyn den glücklosen Owen Smith.