Russen bunkern bis zu 200 Mrd. sfr in der Schweiz
Von Daniel Zulauf, Zürich
Die Risikoexposition des Schweizer Bankensektors gegenüber Russland ist offenbar größer, als dies der Bundesrat am 28. Februar anlässlich der Übernahme der Sanktionsbestimmungen der EU zugeben wollte. Auf die Journalistenfrage, wie bedeutend die Gelder russischer Kunden für Schweizer Vermögensverwaltungsbranche seien, sagte Finanzminister Ueli Maurer auf der damaligen Pressekonferenz in Bern: „Sie figurieren unter ferner liefen.“
Diese Aussage hat die Schweizerische Bankiervereinigung an ihrer Jahrespressekonferenz am Dienstag in Zürich erstmals konkretisiert und damit indirekt auch relativiert. Tatsächlich gehe es um 150 Mrd. sfr bis 200 Mrd. sfr, sagte Bankierpräsident Marcel Rohner auf Nachfrage von Medienvertretern. Es handelt sich also um eine bedeutende Summe. Sie repräsentiert immerhin mehr als 2% aller von der Schweizerischen Nationalbank erfassten verwalteten Vermögen in der Schweiz. Am Gesamtbestand der in der Schweiz liegenden Vermögen ausländischer Kunden haben die Russengelder sogar eine einen Anteil von über 4%.
Nicht bekannt ist, welchen Anteil daran die Oligarchen haben, die von der EU im Februar auf die von der Schweiz vollumfänglich übernommene Sanktionsliste gesetzt wurden und deren Vermögen seither vollständig eingefroren sind.
Oberschicht statt Oligarchen
Eine überschlagsmäßige Schätzung durch Aggregation der kolportierten Vermögen sanktionierter Personen wie Alischer Usmanow, Gennadi Timtschenko oder Viktor Vekselberg, die mindestens teilweise in der Schweiz wohnhaft sind, lassen die Vermutung zu, dass der größte Teil der russischen Vermögen in der Schweiz gar nicht von den bekannten Oligarchen stammt. Ein großer Teil der Vermögen könnte deshalb aus dem Kreis einer russischen Oberschicht stammen, die der Schweiz nicht zuletzt auch als Touristen regelmäßig die Aufwartung macht. Immerhin verbuchte die Schweizer Hotellerie bis zur Pandemie rund 350000 Übernachtungen von russischen Gästen – mehrheitlich im Luxussegment, wie man in einer Broschüre von Hotellerie Suisse aus dem Jahr 2019 nachlesen kann.
Historisch betrachtet ist der Erfolg der Schweizer Banken im grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäft quasi ein Nebenprodukt des Tourismus. „Die Reisenden kamen in Basel oder in Genf mit dem Zug über die Grenze, um in der Schweiz ihre Ferien zu verbringen und bei der Gelegenheit auch mit ihrem Privatbankier zu sprechen“, schilderte der bekannte Zürcher Bankier Hans J. Bär vor 15 Jahren in seinen Memoiren den Aufschwung dieser Industrie, der sich durch die Entwicklung neuer Märkte wie Russland trotz internationaler Steuertransparenz und einer verstärkten Repatriierung von Kundenvermögen aus westeuropäischen Ländern weiter beschleunigen konnte.
Vor diesem Hintergrund könnten die scharfen Sanktionen des Westens gegen Russland und dessen vermögenden Bürgerinnen und Bürger den Schweizer Bankensektor doch noch einigermaßen teurer zu stehen kommen. Seit dem 3. März treffen die Sanktionen nebst den namentlich bekannten Oligarchen auch russische Staatsbürger oder in Russland wohnhafte Personen, die ein Vermögen von mehr als 100000 sfr auf einer Schweizer Bank deponiert haben. Die Gelder bleiben für die Kontoinhaber zwar verfügbar, aber ein Ausbau des Geschäfts ist verboten. Die Banken sind angehalten, die Bestände ihrer russischen Kunden bis zum 3. Juni dem Staatssekretariat für Wirtschaft zu melden – ohne Nennung des Begünstigten.
Was danach geschieht, ist nicht klar. Aber es ist offensichtlich, dass die EU im Bedarfsfall in der Lage sein will, auch die Vermögen einer breiteren russischen Elite zu blockieren. Eine Kritik am Schweizer Sanktionsregime lässt sich Bankierpräsident Rohner trotz der potenziell weitreichenden Folgen für den Schweizer Finanzplatz nicht entlocken. „Die Sanktionen sind ein politischer Entscheid und sie zeigen, welche Werte auch in der Schweiz hochgehalten werden“, sagt er. Vielleicht fällt den Schweizer Bankiers das Akzeptieren des Sanktionsregimes auch deshalb leichter, weil sich alle westlichen Finanzplätze daran halten. „Ich sehe keine plausible Begründung dafür, weshalb die Sanktionen die Konkurrenzfähigkeit des Schweizer Finanzplatzes beeinträchtigen sollten“, sagte Rohner.