Bauchemiekonzern

Sika feiert ihren Entfesselungs­künstler

Paul Hälg feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum als Sika-Präsident. Von Müdigkeit keine Spur: Sieben Übernahmen hat das Unternehmen allein 2021 gestemmt.

Sika feiert ihren Entfesselungs­künstler

Von Daniel Zulauf, Zürich

Der Schweizer Bauchemiekonzern Sika blickt auf ein Jahr spektakulären Wachstums zurück. Sieben Übernahmen hat das Unternehmen allein 2021 gestemmt und darin ist die größte Transaktion in der Firmengeschichte, die Akquisition der ehemaligen BASF-Sparte MBCC noch nicht einmal enthalten. Der Abschluss des 5,5 Mrd. sfr schweren Deals wird bis Mitte des Jahres erwartet.

So viel Expansionsdrang habe es bei Sika schon lange nicht mehr gegeben, sagte CEO Thomas Hasler in Zürich vor Journalisten. Der 56-jährige Chemiker weiß, wovon er spricht. Er hat fast sein gesamtes Berufsleben bei Sika verbracht. Das Traditionsunternehmen ist dabei, Versäumtes nachzuholen. Während fast vier Jahren bremste ein in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte beispielloser Streit zwischen den Erben des Gründers und dem Verwaltungsrat die Entwicklung.

Im Dezember 2014 schockte die Familie die Unternehmensführung mit der Ankündigung, ihre Kontrollbeteiligung an die französische Baustoffgruppe Saint-Gobain zu veräußern. Man einigte sich auf einen Preis von 2,8 Mrd. sfr für 52% der Stimmrechte. Der Großteil der Aktionäre wäre bei dem Geschäft leer ausgegangen, denn die Familie beherrschte Sika über privilegierte Namensaktien mit lediglich 16% der Kapitalanteile. Die Nachricht ließ den Aktienkurs um 22% einbrechen.

Der Schweizer Paul Hälg, der erst knapp drei Jahre davor zum Verwaltungsratspräsidenten gewählt wurde, ging sogleich auf die Barrikaden. Er drohte zusammen mit seinen von der Familie unabhängigen Kollegen im Aufsichtsrat mit dem Rücktritt. So begann der lange Kampf um ein Schweizer Vorzeigeunternehmen. Und die Vorgänge markierten das vorläufige Ende einer Erfolgsgeschichte, an der in den Jahren zuvor auch viele Investoren ihre helle Freude hatten. Die Schlacht um die Frage, ob eine derartige Übervorteilung der Publikumsaktionäre überhaupt rechtens sein kann, beschäftigte eine Heerschar von Anwälten, PR-Beratern und schließlich auch die Gerichte. Hälg ließ von Beginn an keine Zweifel aufkommen, dass er diesen Kampf bis zum Ende führen würde. Vergeblich drohten die Anwälte der Erben mit Verantwortlichkeitsklagen. Auch die Vergütungssperre, mit der die Familie die widerspenstigen Verwaltungsräte in die Knie zu zwingen hofften, verfehlte das Ziel. Ein Jahr nach dem großen Schock schöpften die Investoren neue Hoffnung. Das Unternehmen zeigte anhaltend gute Zahlen und die Aktienkurse begannen zu steigen. Im Frühjahr 2018 war es so weit: Der Aktienkurs hatte den einst vereinbarten Übernahmepreis mit Saint-Gobain obsolet gemacht. Es kam zur Einigung mit der Familie. Diese konnte ihren Anteil für 3,2 Mrd. sfr an das Unternehmen verkaufen und diesem die Einführung einer Einheitsaktie ermöglichen. Hälg und seine Mitstreiter wurden für ihren Mut belohnt.

In diesem Jahr feiert der charismatische Manager sein zehnjähriges Jubiläum als Sika-Präsident. Von Müdigkeit keine Spur. „Das ist erst der Anfang“, sagte der 68-Jährige nach der gewonnenen Schlacht. Die aktuelle Entwicklung von Sika gibt ihm recht. Mit einem Umsatz von 9,25 Mrd. sfr (+17,5%) hat der Konzern das alte Ziel von 10 Mrd. fast erreicht. Der Gewinn erreichte mit einem Plus von 27% erstmals 1 Mrd. sfr. In puncto Marktkapitalisierung haben die Schweizer (46 Mrd. sfr) Saint-Gobain (32 Mrd. Euro) längst hinter sich gelassen. Sika feiert ihren Entfes­selungskünstler.