Großbritannien

Vom Erfolgs­modell zum Rohr­krepierer

Der britische Premier Boris Johnson hat zwar ein parteiinternes Misstrauensvotum überstanden. Doch für viele Tories, vor allem für die Brexit-Befürworter, ist ihr einstiger Held zum Buhmann mutiert.

Vom Erfolgs­modell zum Rohr­krepierer

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– Der britische Premierminister Alexander Boris de Pfeffel Johnson hat gute Miene zum bösen Spiel gemacht und von einem „überzeugenden“, ja einem „entscheidenden“ Ergebnis der parteiinternen Vertrauensabstimmung gesprochen. Bei dem von seinen Gegnern initiierten Votum hatten ihn 211 Abgeordnete unterstützt, 148 stimmten gegen ihn. Unter ihnen befand sich auch der ehemalige Außen- und Gesundheitsminister Jeremy Hunt, der einst im Kampf um die Parteiführung gegen Johnson unterlag.

Johnson würde gerne einen Schlussstrich ziehen. Die Tory-Hinterbänkler waren stets rebellisch. Auch Theresa May, John Major und Margaret Thatcher mussten sich Misstrauensvoten stellen. Für alle nahte damit ein schnelles Ende ihrer Amtszeit. Als Johnson die Unterhauswahlen im Dezember 2019 mit einer Mehrheit von 80 Mandaten für sich entschied, schien ihm alles möglich zu sein. Der Teflon-Politiker war seinem Ruf als Stimmenfänger, der noch darauf zurückgeht, dass er in der Labour-Hochburg London zum Bürgermeister gewählt wurde, voll gerecht geworden. Johnson verströmte Zuversicht. Seine härtere Gangart in den Verhandlungen mit der EU machte ihn für viele Brexit-Befürworter zum Helden. Tatsächlich erreichte er Zugeständnisse, die man in Whitehall nicht für möglich gehalten hätte. Dann erreichte das Coronavirus die Insel. Johnson er­krankte schwer. Nach seiner Genesung litt der einst so wortgewaltige Journalist offenbar am Stockholm-Syndrom: Bürokraten des öffentlichen Gesundheitswesens NHS gaben die Richtung vor, wenn es um die Frage ging, wie der Pandemie Einhalt geboten werden könnte. Seine Zaghaftigkeit erinnerte manche in der Partei an seine Vorgängerin. Gestalterischer Wille war nicht zu erkennen. Sein Versuch, nach der Trennung vom Brexit-Strategen Dominic Cummings an großbürgerlich-liberale Wurzeln anzuknüpfen, scheiterte an seiner chaotischen Natur. In seiner Politik finden sich viele Konservative nicht wieder. Explodierende Staatsausgaben, Steuererhöhungen und unkontrollierte Zuwanderung – das war nicht das Programm, für das sie stehen. Für Brexit-Befürworter mutierte ihr Held zum Buhmann. Die Partys in der Downing Street während des Lockdowns brachten das Fass zum Überlaufen.

Noch kein Nachfolger in Sicht

Noch zeichnet sich kein überzeugender Kandidat für seine Nachfolge ab. Hunt liegt bei den Buchmachern auf gleicher Höhe mit Oppositionsführer Keir Starmer. Es folgen Außenministerin Liz Truss, der Außenpolitiker Tom Tugendhat und Handelsstaatssekretärin Penny Mordaunt. Auf Schatzkanzler Rishi Sunak oder Verteidigungsminister Ben Wallace wollen dagegen weniger ihr Geld setzen. Dabei liegt Wallace unter den Regierungsmitgliedern einer Umfrage der Website Conservative Home zufolge in der Gunst der Parteibasis vorn, gefolgt von Bildungsminister Nadhim Zahawi und Außenhandelsministerin Anne-Marie Trevelyan. Sunak befindet sich auch in diesem Ranking eher am unteren Ende.

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