Wirecard-Déjà-vu für neuen Apas-Chef Sell
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Nach dem spektakulären Abgang seines Vorgängers hat sich die Bestellung von Michael Sell an die Spitze der öffentlichen Wirtschaftsprüferaufsicht Apas außerhalb des Scheinwerferlichtes abgespielt. Dabei hat der Jurist eine durchaus beachtliche Laufbahn in wichtigen Bundesbehörden vorzuweisen.
Sell war von 1996 an für zwölf Jahre im Kanzleramt aktiv, wo er am Ende die Gruppe Finanzpolitik mit den Schwerpunkten Steuerpolitik, Bundeshaushalt, Finanzmärkte leitete. Danach wechselte er zur BaFin als Exekutivdirektor für Querschnittsaufgaben/Innere Verwaltung, bevor er von April 2012 für sechseinhalb Jahre als Ministerialdirektor die Steuerabteilung im Bundesfinanzministerium leitete. Nach dem Regierungswechsel war der heute 63-Jährige Ende September 2018 in den Ruhestand versetzt worden. Sell stieg dann als Counsel in die Kölner Kanzlei Seitz ein, um in komplexen Wirtschafts- und Steuerstrafsachen zu unterstützen. Das hat den energiegeladenen Juristen offensichtlich nicht ausgefüllt, so dass er sich um die Stelle als Leiter der Abschlussprüferaufsichtsstelle (Apas) bewarb. Am 13. September durfte er dort antreten.
Die Apas, angehängt beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa), ist unabhängig von der Prüferzunft für die Beaufsichtigung von Abschlussprüfern zuständig. Dabei nimmt sie die Prüfer unter die Lupe, die Abschlüsse von „Unternehmen von öffentlichem Interesse“ testieren, also Gesellschaften, deren Wertpapiere im geregelten Markt gehandelt werden. Die Apas ist damit letztverantwortlich für die Überwachung der Qualität von gesetzlichen Abschlussprüfungen.
Durch ihren öffentlichen Auftrag steht die Apas in der Aufarbeitung des Wirecard-Skandals an vorderer Stelle im Fokus von Kapitalmarkt und Öffentlichkeit. Sells Vorgänger Ralf Bose hatte durch persönliche Wertpapiergeschäfte eine unrühmliche Rolle eingenommen und die Prüferaufsicht in Misskredit gebracht. Bose hatte bei einer Befragung im Bundestagsuntersuchungsausschuss eingeräumt, in einer Zeit mit Wirecard-Aktien gehandelt zu haben, als die Apas bereits die Arbeit von EY, des damaligen Abschlussprüfers des Zahlungsabwicklers, genauer untersuchte. Er hatte die Aktien genau an dem Tag erworben, als ein KPMG-Sonderbericht Wirecard ein vernichtendes Urteil ausstellte. Bose war nach seiner Beichte mit sofortiger Wirkung freigestellt worden und später ausgeschieden.
EY im Fadenkreuz
Die Apas hat sich bislang nicht dazu geäußert, inwieweit EY als Abschlussprüfer von Wirecard Berufspflichten verletzt hat. Für berufsrechtliche Ermittlungen ist in der Behörde eine Beschlusskammer zuständig, wobei der Apas-Leiter dort keinen Sitz hat, – in der Öffentlichkeit steht er indes in der Verantwortung. Erwartet wird eine berufsrechtliche Entscheidung im Verlauf des Jahres 2022. Damit wird die Sache vermutlich nicht abgeschlossen sein, denn EY dürfte das Votum der Apas gerichtlich prüfen lassen.
Zu den Versäumnissen in der Rechnungslegung von Wirecard hat sich im Sommer die BaFin in Fehlerbekanntmachungen geäußert und dem ehemaligen Dax-Unternehmen bescheinigt, dass die zuletzt veröffentlichten Abschlüsse „den Zweck einer strukturierten zutreffenden Abbildung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns nicht erfüllen“. Die „Konzernbuchführung“ sei nicht so beschaffen, „dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und die Lage des Wirecard-Konzerns vermitteln kann“.
Sell hat in seiner neuen Funktion ein Déjà-vu mit Wirecard. In einem Twitter-Beitrag hatte der Linken-Finanzpolitiker Fabio De Masi im Zuge seiner Wirecard-Aufklärungsarbeit an den bemerkenswerten Auftritt von Sell im Jahr 2011 als BaFin-Vertreter im Finanzausschuss des Bundestages erinnert. Damals war in einer Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Geldwäscheprävention Oliver Bellenhaus als Vertreter der Wirecard Bank als Sachverständiger eingeladen worden – das erinnert daran, welches Standing das Unternehmen einst hatte. Der Manager hatte damals dargelegt, dass es Wirecard „am Herzen liegt, Geldwäsche zu bekämpfen“ und der Konzern das „über die letzten fünf Jahre erfolgreich gezeigt“ habe. Sell hatte in der Diskussion über E-Geld in der Anhörung mit Vehemenz darauf hingewiesen, dass das unlimitierte Aufladen von Prepaid-Karten aus nicht identifizierbaren Konten zur Geldwäsche einlädt,was sich darin spiegele, dass für Anonymität höhere Prozentsätze an Gebühren verlangt würden. Ausführungen von Wirtschaftsvertretern, die diese Gefahr nicht sahen und die Praxis verharmlosend mit elektronischen Warengutscheinen verglichen, quittierte Sell als „Irreführung der Abgeordneten“.
Der damalige Sachverständige von Wirecard war später Chef der Wirecard-Tochter Cardsystems Middle East. Er stellte sich nach Aufdeckung des Bilanzskandals als zentraler Beschuldigter, legte ein Geständnis ab und kam in Untersuchungshaft.