Oligarch

Wladimir Potanin – der neue Stern am russischen Bankenmarkt

Wegen des Kriegs und der Sanktionen bleibt in Russlands Wirtschaft kein Stein auf dem anderen. Viele verlieren. Aber es zeichnen sich auch Gewinner ab. Am sichtbarsten derzeit in der Finanzindustrie.

Wladimir Potanin – der neue Stern am russischen Bankenmarkt

Von Eduard Steiner, Moskau

Sich politisch dort zu äußern, wo es fürs Geschäft gefährlich wird, ist seine Sache nicht. Und so lässt sich bisher nicht sagen, ob auch Wladimir Potanin den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine für einen Fehler hält. Ein paar seiner russischen Milliardärskollegen haben dies inzwischen ja explizit geäußert, und bei vielen anderen aus der Wirtschaftselite weiß man, dass sie den außenpolitischen Kurs der politischen Hardliner seit Jahren satthaben, weil er einfach das Geschäft und die russische Wirtschaft behindert bzw. jetzt sogar um Jahre zurückwirft. Und so lässt sich auch bei Potanin annehmen, dass er den Krieg ablehnt, dessen Folgen sein Vermögen – ähnlich wie das anderer Tycoons – um 9,7 Mrd. Dollar auf 17,3 Mrd. Dollar schrumpfen ließ, wie das russische „Forbes“-Magazin vorrechnet.

Tinkows Anteile einverleibt

Dabei ist der nach wie vor zweitreichste Russe bisher geschäftlich noch relativ glimpflich davongekommen. Mehr noch: Der 61-jährige Potanin ist derjenige, der auch am meisten profitiert hat. Nicht nur, dass er – außer von Kanada – mit keinen westlichen Sanktionen belegt wurde, weil die von ihm produzierten Rohstoffe für die Welt einfach zu wichtig sind. Er sammelte inzwischen im Inland auch am meisten jene Vermögenswerte ein, die andere abstoßen. Ende der vergangenen Woche wurde bekannt, dass Potanin 35% der TCS Group aus den Händen der Familie Tinkow kaufte. TCS Group ist nicht irgendwer, so wie ihr Gründer Oleg Tinkow nicht irgendwer ist. Herzstück der Holding ist die Tinkoff Bank, die landesweit zwölftgrößte Bank und als reine Online-Bank das innovativste Geldinstitut, das binnen dreier Jahre seine Kundenanzahl auf heute knapp 21 Millionen verdoppelt und bis zum Kriegsbeginn Quartal um Quartal einen neuen Gewinnrekord eingefahren hat. Bankgründer Oleg Tinkow wiederum hat am 19. April für Aufsehen gesorgt, weil er den Ukraine-Krieg als „sinnlos“ und als „Massaker“ bezeichnet hat.

Der Kreml habe ihm daraufhin gedroht, die Bank zu verstaatlichen, sagte Tinkow nun, knapp zwei Wochen später, im Interview der „New York Times“. Potanin aber habe ihm nicht mehr als 3% des wahren Bankenwerts bezahlt. „Ich konnte nicht über den Preis diskutieren. Es war wie eine Geiselnahme: Du nimmst, was dir angeboten wird“, so Tinkow. Ob das alles in den Details so stimmt oder nicht, lässt sich in der aufgeheizten Stimmung kaum eruieren: Faktum ist, dass der 54-jährige Tinkow, der aufgrund seiner Krebserkrankung vorwiegend im Ausland lebt, zwar schon länger an einen Verkauf seiner Holding gedacht hat. Nun aber ist es der Krieg, der alles beschleunigt. Und der gemeinsam mit den Sanktionen dafür sorgt, dass kein Stein in der russischen Wirtschaft auf dem anderen bleibt und dass mitunter Vermögenswerte eben auch zum Diskontpreis verkauft werden müssen.

Nicht nur Russen fliegen raus, weil sie zu aufmüpfig sind. Auch viele ausländische Unternehmen stehen unter dem Druck der Sanktionen oder ihrer Aktionäre vor dem riesigen Problem, wie sie den Weggang aus Russland rechtlich und mit möglichst geringem Schaden abwickeln. Denn vonseiten Russlands sitzt ihnen der Staat im Nacken, der wiederholt von der Idee sprach, Vermögenswerte aus „nicht freundschaftlichen Staaten“, wie der Westen inzwischen bezeichnet wird, zu konfiszieren. Schon im März war es wohlgemerkt der Milliardär Potanin gewesen, der davor warnte, weil sein Land damit in einen Zustand wie in der bolschewistischen Revolution 1917 zurückfallen und das Vertrauen der Investoren noch mehr verlieren würde.

Einen Monat später hat Potanin über seine Holding Interros die Rosbank, Russland-Tochter der französischen Bank Société Générale (SocGen) und elftgrößte Bank des Landes, übernommen. Er selbst hatte die Bank vor Jahren um ein Vielfaches des Kapitalwertes an SocGen verkauft und zahlte Insidern zufolge, die in russischen Medien zitiert wurden, nur einen Bruchteil des Kapitalwertes. Vom besten Short in der Finanzgeschichte spricht man in russischen Finanzkreisen. SocGen muss 2 Mrd. Euro auf den Buchwert der russischen Einheiten abschreiben, wird aber auch die Risiken aus der russischen Bilanz los, zumal Interros die nachrangigen Schulden der Russland-Tochter zurückzahlt.

Putins Gunst erkauft

Potanin selbst jedenfalls, der als einer der großen Oligarchen der 90er Jahre gilt und mit Wladimir Putin auch deshalb gut auskommt, weil er sich als größter Privatinvestor für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi profilierte, wird nun mit den zwei günstigen Bankkäufen binnen dreier Wochen zu einem führenden Player in der ansonsten staatlich dominierten russischen Finanz­industrie. Dazu passt, dass er nun mit United Card Services auch noch einen wichtigen Anbieter von Zahlungstechnologien erwarb. Bislang war Potanins Haupteinnahmequelle die Produktion von Industrie- und Edelmetallen durch seinen Bergbaukonzern Norilsk Nickel. Mit ihm deckt er 40% des globalen Bedarfs an Palladium ab und ist ein wichtiger Lieferant von Nickel. Und mit ihnen ist Potanin allemal zu bedeutend für Europa und die USA, um auf ihren Sanktionslisten zu landen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.