Zwei Frauen im Rennen um J.P.-Morgan-Spitze
Von Norbert Kuls, New York
Wettrennen zwischen Managern um den Vorstandsvorsitz von US-Unternehmen sind nicht ungewöhnlich. Ein Klassiker war die jahrelange Konkurrenz um die Nachfolge des legendären Jack Welch bei General Electric. Auch der aktuelle CEO der Investmentbank Goldman Sachs, David Solomon, musste sich vor drei Jahren im direkten Schlagabtausch gegen Mitbewerber Harvey Schwartz um die Nachfolge von Langzeit-CEO Lloyd Blankfein durchsetzen.
Nun hat die amerikanische Großbank J.P. Morgan Chase den Startschuss für ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Nachfolge ihres seit mehr als 15 Jahren amtierenden CEO Jamie Dimon (65) gegeben. Erstmals sind zwei Frauen die aussichtsreichsten Kandidatinnen für den einflussreichsten Posten der Wall Street: Jennifer Piepszak (51) und Marianne Lake (51). Die beiden Managerinnen führen ab sofort gemeinsam die große Privatkundensparte der Bank, zu der auch die Betreuung kleiner Unternehmen gehört. Der Bereich umfasst 4900 Filialen mit 130000 Mitarbeitern in 38 Bundesstaaten.
Piepszak und Lake sind seit Jahrzehnten für J.P. Morgan Chase tätig und schon länger als potenzielle Nachfolgerinnen gehandelt. Piepszak war zuletzt Finanzchefin der Bank und folgte Lake in dieser Rolle vor zwei Jahren nach. Lake verantwortete seither das Verbraucherkreditgeschäft, das rund ein Viertel zu den Einnahmen der Bank beisteuert.
Die Beförderung der beiden Managerinnen gibt den Nachfolgespekulationen eine neue Qualität. „Dieses Mal fühlt es sich anders an“, sagte Mike Mayo, Bankanalyst bei Wells Fargo. „Eine der beiden neuen Leiterinnen der Privatkundensparte ist letztlich wahrscheinlich die nächste Vorstandschefin von J.P. Morgan.“
Piepszak und Lake folgen auf Gordon Smith (62), der die Bank Ende des Jahres verlassen wird, um seine Karriere zu beenden. Smith hatte 2019 ein Angebot abgelehnt, CEO von Wells Fargo zu werden. Er war gemeinsam mit Daniel Pinto (58), der für Firmenkundengeschäft und Investment Banking verantwortlich ist, bislang Co-Präsident der Bank – die Nummer 2 hinter dem CEO. Pinto wird diesen Titel jetzt allein führen und gilt als wahrscheinlicher Nachfolger, falls Dimon etwas zustoßen sollte. Smith und Pinto hatten die Führung der Bank im vergangenen Jahr kurzzeitig übernommen, als sich Dimon einer Notoperation am Herzen unterziehen musste. Wegen seines Alters gilt Pinto aber nicht als aussichtsreichster Kandidat für die CEO-Nachfolge. Denn Dimon kokettiert damit, J.P. Morgan noch mindestens „fünf Jahre“ leiten zu wollen.
Sollten Piepszak oder Lake das Rennen um die Nachfolge machen, wäre J.P. Morgan die zweite amerikanische Großbank, die eine Frau an die Spitze beruft. Seit März dieses Jahres führt Jane Fraser die Citigroup. Die Verliererin des Rennens bei J.P. Morgan muss sich dennoch keine Sorgen um ihre Karriere machen. Spitzenmanagerinnen der Bank sind gefragt: Der Vermögensverwalter TIAA hatte kürzlich die J.P.-Morgan-Managerin Thasunda Duckett abgeworben und zur CEO gemacht.