Amazon muss Verkäuferkonto entsperren
Herr Dr. Spangler, Sie haben jüngst für eine Mandantin aus dem Beauty-Bereich beim Landgericht Hannover eine einstweilige Verfügung gegen die luxemburgische Amazon Services Europe wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung erwirkt. Wie kam es dazu?
Amazon hatte unserer Mandantin das Verkäuferkonto gesperrt, so dass sie nicht mehr über Amazon verkaufen konnte. Ohne den Zugang zum Verkäuferkonto drohte auch die Vernichtung ihrer Ware, die bei Amazon gelagert ist. Die Kontosperrung erfolgte ohne eine nähere Begründung, so dass unsere Mandantin im Dunkeln tappte, was die Hintergründe der Sperrung sein könnten. Wir hatten uns zunächst erfolglos um Klärung bemüht, dann den Rechtsweg eingeschlagen. Nach unserer Ansicht ist Amazon im Bereich der Marktplatz-Dienste in Deutschland marktbeherrschend beziehungsweise jedenfalls marktstark, so dass eine Kontosperrung ohne nähere Begründung eine missbräuchliche Behinderung darstellt. Das Landgericht Hannover ist dieser Argumentation gefolgt.
Hat die Mandantin somit jetzt wieder Zugriff auf das Verkäuferkonto?
Das Verkäuferkonto wurde inzwischen entsperrt. Unsere Mandantin hat damit wieder vollen Zugriff auf den für sie wichtigen Vertriebskanal. Amazon kann gegen die Entscheidung allerdings noch Widerspruch einlegen. Dann würde es zu einer Verhandlung in der Hauptsache kommen. Das Landgericht muss außerdem das Bundeskartellamt über den Rechtsstreit informieren. Es könnte sich gegebenenfalls an dem Verfahren beteiligen.
Was ist das Besondere an dieser Entscheidung?
Bemerkenswert ist, dass das Gericht eine marktbeherrschende Stellung von Amazon angenommen hat. Deshalb wurde auf einer entsprechenden kartellrechtlichen Grundlage ein Unterlassungsanspruch bejaht. Nicht zu unterschätzen ist außerdem, dass sich das deutsche Gericht für zuständig gehalten hat, obwohl die betreffende Amazon-Gesellschaft ihren Sitz in Luxemburg hat.
Wie bewerten die Kartellbehörden aktuell die Marktstellung von Amazon?
Soweit ersichtlich, gibt es bisher keine formale Entscheidung des Bundeskartellamts, in der eine marktbeherrschende Stellung von Amazon ausdrücklich festgestellt wurde. 2019 hatte das Bundeskartellamt ein Missbrauchsverfahren gegen Amazon wegen der Geschäftsbedingungen erst eingestellt, nachdem Amazon diese angepasst hatte. Aktuell läuft ein Verfahren nach den neuen kartellrechtlichen Vorschriften für Digitalkonzerne. Auch hier wird die Frage nach der Marktbeherrschung relevant werden. Bei der Europäischen Kommission läuft außerdem ein Verfahren hinsichtlich des Amazon Marketplace, das sich ebenfalls mit der Marktstellung von Amazon befasst. Vor dem Hintergrund der laufenden Verfahren gehe ich davon aus, dass es in dieser Frage in absehbarer Zeit eine Klärung durch die Kartellbehörden gibt.
Was wird sich für Händler, die über Amazon verkaufen, zukünftig ändern?
Die Frage ist, ob sich die Ansicht durchsetzt, dass Amazon bei den Marktplatzdiensten in Deutschland marktbeherrschend ist. Interessant wird auch, ob das Bundeskartellamt sogar eine überragende marktübergreifende Bedeutung nach den neuen Vorschriften für Digitalkonzerne feststellt. Wenn ja, dann wären die Geschäftspraktiken von Amazon gegenüber seinen Marktplatzhändlern künftig vor diesem Hintergrund zu bewerten.
Welche Folgen hätte das für die Marktplatzhändler?
Ein missbräuchliches Verhalten ihnen gegenüber wäre dann verboten. Die Machtverhältnisse auf Amazon Marketplace würden sich verschieben, da sich die Position der Marktplatzhändler voraussichtlich erheblich verbessern würde. Ich gehe davon aus, dass Händler sich in diesem Fall in ähnlichen Fällen verstärkt zur Wehr setzen, da die Erfolgsaussichten größer sind.
Dr. Simon Spangler ist Partner im Bereich Kartellrecht bei Oppenhoff und Co-Head der Sektorgruppe Handel und Konsumgüter.
Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.