Anfechtung von Ausschüttungen bei Schneeballsystemen
Helmut Kipp
Herr Baumert, inwieweit ist die Schenkungsanfechtung für Kapitalanleger relevant?
Sie ist nicht nur für Kapitalanleger, sondern auch für Insolvenzverwalter von Geldanlagen auf dem grauen Kapitalmarkt relevant – gerade wenn sie als Schneeballsystem organisiert waren. Die Ausschüttungen an die Altanleger wurden dann mit dem Geld neuer Anleger bestritten, und es gibt oftmals keine realen, sondern nur Scheingewinne. Bei solchen Kriminalinsolvenzen muss geklärt werden, ob Anleger Anspruch auf die Gewinnausschüttungen haben, die sie erhalten haben, oder ob der Insolvenzverwalter sie zurückfordern kann, da sie ohne Rechtsgrundlage erfolgt sind. Dazu ist ein Insolvenzverwalter verpflichtet, um die Ansprüche der Gläubigergesamtheit zu schützen.
Welche Rolle spielt dabei die Schenkungsanfechtung?
Nach § 134 der Insolvenzordnung ist eine Leistung eines Schuldners anfechtbar, wenn sie unentgeltlich erfolgt, also ohne Rechtsgrund ist und somit geschenkt wurde. Im Jahr 2009 hat der BGH im Zuge der Kriminalinsolvenz von Phönix Kapitaldienst, bei der ich für den Insolvenzverwalter aus unserer Kanzlei tätig war, zum ersten Mal entschieden, dass Ausschüttungen an Anleger auf Basis von Scheingewinnen als unentgeltliche Leistungen zu sehen und daher anfechtbar sind. Diese Anfechtbarkeit umfasst aber auch Provisionen, die Finanzmakler im Zusammenhang mit Schneeballsystemen erhalten haben, ohne dass sie einen Anspruch darauf gehabt hätten. Diese sogenannten Scheinprovisionen kann ein Insolvenzverwalter dann für die Gläubigergesamtheit zurückfordern.
Hat diese Sichtweise bis heute Bestand?
Vom Grundsatz her ja. Der BGH hat seine Rechtsprechung jedoch nach und nach konkretisiert. So haben die Karlsruher Richter in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 klargestellt, dass nur bewusste Zahlungen auf eine sogenannte Nichtschuld anfechtbar sind. Der Schuldner – also etwa der Geschäftsführer – muss die Zahlung, für die es keinen Rechtsgrund gegeben hat, bewusst getätigt haben. Übertragen auf den grauen Kapitalmarkt bedeutet das, dass der Insolvenzverwalter belegen muss, dass zum Beispiel die Anleger eines Fonds rechtlich gesehen keinen Anspruch auf Ausschüttungen hatten und die Verantwortlichen sie trotzdem bezahlt haben – etwa um den Anschein einer normalen Kapitalanlage zu wahren.
Woran lässt sich ein solcher Anspruch festmachen?
Hier spielt das Vertragsverhältnis eine große Rolle: Ist zum Beispiel zwischen Anleger und Fonds vereinbart, dass Ausschüttungen nur auf der Basis von realen Gewinnen vorgenommen werden? Oder wird dem Anleger eine Mindestausschüttung unabhängig davon garantiert, ob es diese real oder nur scheinbar gibt? Im zweiten Fall sind die Ausschüttungen nicht anfechtbar.
Kommen wir zurück zum BGH. Was besagen die aktuellen Entscheidungen?
Die Phönix-Rechtsprechung wurde mit der Dogmatik der Subjektivität fortgesetzt. Der BGH hat sich damit befasst, welche Voraussetzungen an das Bewusstsein einer rechtsgrundlosen Zahlung gelten. Also: In welchem Umfang war sich die handelnde Person eines Schneeballsystems bewusst, dass die Ausschüttungen an die Anleger auf Scheingewinnen basierten? Zudem ging es um die Frage, wann eigentlich ein Rechtsgrund für eine Zahlung wie etwa eine Ausschüttung an Anleger vorliegt.
Wie lautet die Antwort?
Entscheidend ist dabei die jeweilige Vertragslage zwischen Anleger und Fonds. Interessant ist, dass der BGH feststellt, dass ein Schneeballsystem als solches nicht zur Anfechtbarkeit nach § 134 führt. Jeder Fall muss also individuell geprüft werden. Und dabei kommen auch die subjektiven Komponenten zum Tragen – zum Beispiel: Ist die Bilanz als Grundlage ausreichend, aus der die Scheingewinne ersichtlich sind, oder muss eine Kenntnis der Geschäftsführung des Schneeballsystems nachweisbar sein? Am Ende geht es also darum, ob das Schneeballsystem bewusst betrieben wurde.
Prof. Dr. Andreas J. Baumert ist Partner von Schultze & Braun.
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