Automobilindustrie

Autonomes Fahren – Made in Germany

Der deutsche Gesetzgeber schafft einen Rechtsrahmen für neue Technologien in der Automobilindustrie, es ist ein Sonderweg mit Tücken.

Autonomes Fahren – Made in Germany

Von Frederic Geber*)

Ein neues Gesetz soll fahrerlose Fahrzeuge schon 2022 auf deutsche Straßen bringen. Die Politik möchte damit die Automobilindustrie hierzulande an die Weltspitze des autonomen Fahrens katapultieren. Neben Fahrzeugherstellern dürften vor allem Anbieter von Robotaxis profitieren. Den begrüßenswerten ersten Schritten müssen jedoch noch weitere folgen.

Das Bundesverkehrsministerium brachte es auf den Punkt: Deutschland soll eine Führungsrolle beim autonomen Fahren einnehmen. Bisher gibt es auf europäischer Ebene aber keine ausreichenden Regelungen für Fahrzeuge mit autonomer Fahrfunktion. Um der Innovationsdynamik dennoch Rechnung zu tragen, hat Deutschland nun mit dem Gesetz zum autonomen Fahren einen eigenen Rechtsrahmen geschaffen. Dieser gilt bis internationale Regelungen in Kraft treten, was noch Jahre dauern kann.

Das neue Gesetz zielt primär auf sogenannte People und Goods Mover ab, minibusartige Fahrzeuge, die Personen und Güter auf der ersten bzw. letzten Meile transportieren. Diese könnten etwa zwischen großen Industriestandorten oder als Ergänzung zum öffentlichen Personennahverkehr zum Einsatz kommen. Das Gesetz gilt aber auch für klassische Fahrzeuge mit Zusatzausstattung, die dann beispielsweise Menschen fahrerlos als Robotaxi von A nach B transportieren.

Wenn das Gesetz vom „autonomen Fahren“ spricht, meint es Fahrzeuge, die in bestimmten Gebieten ohne menschlichen Fahrer betrieben werden. In der Industrie spricht man von Level-4-Fahrzeugen in Anlehnung an den Standard SAE J3016. Dieser sieht sechs Automatisierungsstufen vor, von vollständig manueller Fahrzeugsteuerung (Stufe 0) über Fahrassistenzsysteme wie Tempomaten und Spurhalteassistenten (Stufen 1, 2) bis hin zur vollständigen Autonomie, also fahrerlosem Fahren an jedem Ort und zu jeder Zeit (Stufe 5).

Es ist nicht das erste Gesetz zur Förderung moderner Fahrzeugtechnik. Schon 2017 hatte der Gesetzgeber versucht, den Markteintritt automatisierter Fahrzeuge zu beschleunigen. Seinerzeit zielte man vor allem auf Staupiloten ab, Systeme, die ein herkömmliches Fahrzeug im Stau automatisch steuern, während der Fahrer Zeitung liest oder E-Mails schreibt. Die Regeln waren jedoch nicht erfolgreich, beschränkten sie sich doch darauf, Verhaltenspflichten für den Fahrer zu normieren, während er Staupiloten oder ähnliche Systeme einsetzt.

Der Gesetzgeber hatte erwartet, dass die technischen Vorschriften für die Systeme auf internationaler Ebene verabschiedet werden würden. Hierzu kam es jedoch erst Mitte 2020. Für die Industrie war dies unglücklich, weil die Staupiloten einsatzbereit waren, sie aber nur mithilfe von aufwendigen Ausnahmegenehmigungen in die Fahrzeuge hätten integriert werden können. In der Konsequenz legte zum Beispiel Audi seinen Staupiloten in der aktuellen Version seines Spitzenmodells A8 auf Eis.

Sonderweg mit Tücken

Das neue Gesetz macht vieles besser. Nunmehr definiert es selbst die technischen Rahmenbedingungen, bei deren Erfüllung die Fahrzeughersteller eine Betriebserlaubnis für ihre Fahrzeuge erhalten. Die technischen Standards, die durch eine Rechtsverordnung noch konkretisiert werden müssen, sind weitgehend technologieoffen und lassen den Herstellern Spielraum für technische Inno­vationen.

Der deutsche Sonderweg hat jedoch auch seine Tücken. Für gewöhnlich regelt die Europäische Union, welche technischen Anforderungen Fahrzeuge einhalten müssen, bevor sie ausgeliefert werden dürfen. Wenn die Fahrzeuge diese Anforderungen erfüllen, dürfen die Hersteller die Fahrzeuge in der gesamten EU vertreiben. Demgegenüber gelten das neue Gesetz und seine technischen Standards nur deutschlandweit. Andere Mitgliedstaaten können Verkauf und Inbetriebnahme der Fahrzeuge in ihrem Hoheitsgebiet etwa aus Sicherheitsgründen einschränken oder verhindern. Dafür müssen sie geltend machen, dass die deutsche Betriebserlaubnis ihre Sicherheitsbedürfnisse nicht hinreichend schützt.

Die Bundesregierung hat dies erkannt und setzt sich in den internationalen Gremien dafür ein, dass die deutschen Regelungen zur Blaupause für internationale Regelungen werden. Für die Übergangszeit bis zum Inkrafttreten internationaler Regeln hatte Deutschland keine andere Wahl, als eigene Regelungen mit begrenzter geografischer Geltung zu erlassen.

Das Gesetz legt Fahrzeughaltern umfangreiche Sicherheitspflichten auf und richtet sich damit primär an Betreiber kommerzieller Robotaxis oder Lieferdienste. Die Halter müssen „festgelegte Betriebsbereiche“ genehmigen lassen, also den Behörden vorab mitteilen, auf welchen Straßen sie die Fahrzeuge betreiben möchten. Ziel ist es, sicherzustellen, dass die Fahrzeuge sich tatsächlich für den vorgesehenen Einsatzzweck eignen. Beispielsweise könnte ein Fahrzeug, das ausschließlich für den Einsatz auf Landstraßen konstruiert ist, nicht in einer belebten Innenstadt eingesetzt werden. Für Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen ist die Genehmigungspflicht jedoch aufwendig und erschwert das Skalieren ihrer Dienstleistungen. Für die Fahrzeughersteller ist das Prinzip festgelegter Betriebsbereiche gleichwohl vorteilhaft, weil sie sich bei der Entwicklungsarbeit auf einen vorab abstrakt festgelegten Einsatzbereich konzentrieren können.

Ferner müssen die Fahrzeughalter eine technische Aufsicht einsetzen, also einen Menschen, der von einer Zentrale aus bei Bedarf die Fahrzeuge zu Fahrmanövern anweist. Die technische Aufsicht soll das Fahrzeug nicht kontinuierlich überwachen, sondern nur einschreiten, wenn das Fahrzeug sie hierzu auffordert. Das Gesetz denkt hierbei nicht an echte Notfälle – das Fahrzeug soll diese selbstständig entschärfen – sondern an ungewöhnliche Situationen, die von der Fahrzeugsoftware nicht hinreichend abgedeckt werden können. Beispielsweise lässt sich nicht im Vorhinein bestimmen, wie ein Fahrzeug einem vor ihm stehenden Lieferwagen ausweichen soll, wenn rechts ein Bürgersteig und links eine durchgezogene Linie ist, die Steuerungssoftware jedoch so programmiert ist, dass das Fahrzeug stets alle Verkehrsregeln einhält.

Für das fahrerlose Fahren zeichnen sich offene Fragen und weitere Gesetzesvorhaben ab. Eine Frage betrifft die Haftung. Das neue Gesetz sieht für die Haftung der technischen Aufsicht keine Sonderregelungen vor. Hier wird die Rechtsprechung entscheiden müssen, wann die technische Aufsicht aufgrund der existierenden Regelungen für Unfälle haften muss. Ferner bereitet die Europäische Union eine Novelle des Produkthaftungsrechts vor, damit Geschädigte, Fahrzeughalter und deren Versicherung die Hersteller einfacher in Regress nehmen können. Intensive Diskussionen sind auch in Bezug auf Fahrzeugdaten zu erwarten. Diese sind für die Produktverbesserung, die Marktüberwachung sowie für das Anbieten zusätzlicher Dienstleistungen höchst relevant. Entsprechend umstritten ist, wer Zugriff erhalten und wer hierüber entscheiden soll. Schon im Gesetzgebungsverfahren zum aktuellen Gesetz wurde über die Einführung eines Mobilitätsdatengesetzes gestritten.

Initiativen der EU

Da die Steuerungssoftware für fahrerlose Fahrzeuge oft auf künstlicher Intelligenz (KI) beruht, sind auch die aktuellen Initiativen der EU in diesem Bereich von Bedeutung. So hat das Europäische Parlament die EU-Kom­mis­si­on aufgefordert, Haftungsregelungen für KI-gesteuerte Produkte vorzulegen. Ferner wird die EU voraussichtlich Mindestanforderungen an die Qualität der Datensätze einführen, mit denen die Fahrzeugsoftware trainiert wird.

Insgesamt ist das Gesetz zum autonomen Fahren ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Bei den absehbaren weiteren Gesetzesvorhaben sollte der Gesetzgeber den Unternehmen ausreichenden Freiraum zur Innovation belassen. Insbesondere sollte ein Mobilitätsdaten­gesetz den Zugriff von Fahrzeug­herstellern und Zulieferern auf die technischen Fahrzeugdaten – die Grundlage für die Weiterentwicklung fahrerloser Fahrzeuge – nicht beschneiden.

*) Dr. Frederic Geber ist Rechtsanwalt und Senior Associate bei Hengeler Mueller.