Bilanzkontrolle in neuer Montur
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Mit dem Jahreswechsel ist die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) im blühenden Alter von 16 Jahren sang- und klanglos untergegangen. Die im Volksmund als Bilanzpolizei bezeichnete Enforcement-Einrichtung wanderte im Zuge der Aufarbeitung des Wirecard-Skandals zur Marktaufsicht BaFin – gesetzlich mit deutlich mehr Fahndungsinstrumentarium versehen.
Gegründet worden war die DPR im Sommer 2005 als Reaktion auf Bilanzskandale – am Ende wurde sie selbst Opfer einer solchen Affäre, als sie einräumte, trotz schwerwiegender öffentlicher Hinweise auf fehlerhafte Rechnungslegung bei Wirecard im Wesentlichen nur einen Mitarbeiter mit der Prüfung der komplexen Abschlüsse des Zahlungsabwicklers betraut zu haben. Bundesjustiz- und -finanzministerium hatten den Vertrag mit der DPR daraufhin kurzerhand gekündigt.
Lex Wirecard
Das in Aufarbeitung der Wirecard-Affäre auf den Weg gebrachte Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) überträgt der BaFin allein die Kontrolle von Unternehmensabschlüssen. Die Bundesanstalt hat die Beschäftigten der DPR übernommen. Prüfungen, die Ende 2021 noch nicht abgeschlossen waren, setzt die BaFin fort.
Die DPR war nach den Bilanzskandalen der US-Konzerne Enron und Worldcom ins Leben gerufen worden. Damals gab es weltweit in den großen Kapitalmärkten Initiativen, die Bilanzen kapitalmarktorientierter Unternehmen durch eine dritte unabhängige Instanz neben Aufsichtsrat und Abschlussprüfer unter die Lupe zu nehmen. Zudem wurde eine unabhängige öffentliche Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer installiert. Auch der Instanz wurde im Fall Wirecard Versagen angekreidet.
Deutschland war 2005 in Europa einen Sonderweg gegangen und hatte eine privatrechtliche Organisation in erster Stufe mit dem Enforcement betraut, die BaFin kam als Behörde erst auf zweiter Stufe ins Spiel – wenn etwa ein Unternehmen nicht willig war, in der Bilanzprüfung mit der DPR zu kooperieren. Die meisten EU-Länder haben die Aufgabe damals dagegen einer staatlichen Stelle übertragen, lediglich Österreich orientierte sich am deutschen Modell mit einer als Verein organisierten vorgeschalteten Stelle.
Die Unternehmenswelt hierzulande setzte einst alles daran, das Heft in der Hand zu behalten. Es sollte mit aller Kraft verhindert werden, dass ein System etabliert wird, mit dem man in die Fänge einer allmächtigen Krake wie der US-Börsenaufsicht SEC geraten würde. Einer solchen Superbehörde wollte man die Aufgabe auf keinen Fall übertragen. Es war eine Zeit, als mancher deutsche CFO noch den Abschlussprüfer – „Jugend forscht“ – für überflüssig erklärte. Denn jedes Unternehmen vermöge es doch in eigener Verantwortung, für einwandfreie Rechnungslegung zu sorgen.
Die Fahndungserfolge der alten Bilanzpolizei krankten von Beginn an daran, dass die Prüfverfahren verhältnismäßig lange dauerten. Für den Kapitalmarkt waren die Ermittlungsergebnisse somit oft schon fast wertlos. Auch die im vergangenen Jahr 2021 noch veröffentlichten Fehlermeldungen – 18 an der Zahl – bezogen sich bis auf drei Veröffentlichungen auf Abschlüsse aus den Jahren 2019, 2018 und zwei sogar noch aus 2017.
Wertlose Information
Die aktuellste Offenbarung betrifft Osram, die einräumen muss, aktive latente Steuern und Nettoergebnis zum 30. September 2020 um immerhin 335 Mill. Euro zu hoch ausgewiesen zu haben – gezeigt hatte der Konzern einen Verlust von 271 Mill. Euro. Das Unternehmen habe damals in der Projektion der Nutzung steuerlicher Verlustvorträge nicht berücksichtigt, inwieweit sich der bereits vor dem Bilanzstichtag mit dem neuen Eigentümer AMS vereinbarte Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag auswirkt. Diese Information ist indes im Dezember 2021 ohne Relevanz für den Kapitalmarkt.
Ungeachtet der verzögerten Enthüllungen hatte sich die Prüfstelle Respekt im Markt verschafft – wer sie im Haus hatte, wusste, was die Stunde geschlagen hat. Auch wenn Fehler erst lange nach dem Bilanzstichtag ans Licht kommen, kratzen sie am Image. Bei Investoren kann der Eindruck entstehen, dass man es mit der Rechnungslegung womöglich insgesamt nicht so genau nimmt.
Welchen Wirbel eine Bilanzprüfung auslösen kann, zeigte sich noch kurz vor dem Aus der DPR im Gebaren des Düngemittel- und Salzproduzenten K+S, der sogar per Ad-hoc-Mitteilung bekannt gab, dass die Bilanzpolizei angerückt ist. In dem Fall soll die BaFin Anfang 2021 die DPR beauftragt haben, den Konzernabschluss 2019 und den Zwischenbericht zum 30. Juni 2020 zu prüfen. Hintergrund war, dass die BaFin den Verdacht hegte, dass K+S eine Abschreibung zu spät vorgenommen und zu niedrig angesetzt habe. Der MDax-Wert musste dann zwar Fehler veröffentlichen, konnte die schwersten Vorwürfe jedoch entkräften und musste die Wertansätze in der Bilanz nicht anpassen.
Die Emittenten müssen sich mit dem in der BaFin angesiedelten Enforcement auf eine aktivere Auseinandersetzung in der Bilanzkontrolle einstellen. Gesetzlich vorgesehen ist eine intensivere Interaktion mit den Unternehmen schon in den wie bisher abgehaltenen routinemäßigen Stichprobenprüfungen.
Noch umfangreicher geht es künftig in den anlassbezogenen Kontrollen zur Sache, wenn also konkrete Hinweise für Verstöße gegen Bilanzierungsregeln vorliegen. Hier ist eine erhöhte Vor-Ort-Präsenz vorgesehen. Auch forensische Untersuchungen dürfen durchgeführt werden. Die BaFin ist gesetzlich befugt, Organvertreter oder Beschäftigte des ins Visier geratenen Unternehmens zur Vernehmung vorzuladen. Bedienstete der Bundesanstalt dürfen sogar Geschäfts- und Wohnräume durchsuchen und Gegenstände beschlagnahmen, wenn es Anhaltspunkte für erhebliche Verstöße gegen Rechnungslegungsvorschriften gibt.
Ross und Reiter
Das Verfahren ist zudem deutlich transparenter gestaltet. So darf die BaFin in Fällen öffentlichen Interesses auf ihrer Internetseite veröffentlichen, bei welchem Unternehmen sie eine Bilanzprüfung angeordnet hat, und dann auch wesentliche Verfahrensschritte und im Laufe der Prüfung gewonnene Erkenntnisse bekannt machen. Wird das Unternehmen eines Bilanzfehlers überführt, erfährt das die Öffentlichkeit auch auf der Webseite der BaFin und wie bisher im Bundesanzeiger.