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Börsenwert gewinnt bei Abfindungen an Bedeutung

Abfindungsangebote ziehen fast immer juristische Auseinandersetzungen nach sich. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat nun ein bemerkenswertes Urteil zur wiederkehrenden Ausgleichszahlung gefällt.

Börsenwert gewinnt bei Abfindungen an Bedeutung

Herr Reger, Herr Ruiz de Vargas, das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hat über die Kompensation für die Minderheitsaktionäre der Immobilienfirma WCM entschieden. Worum geht es?

Ruiz de Vargas:WCM und ihr Hauptaktionär TLG haben einen Beherrschungsvertrag geschlossen. Das Aktiengesetz schreibt vor, dass Minderheitsaktionäre eine Kompensation für die damit verbundene Beeinträchtigung des Aktieneigentums erhalten. Dabei können diese zwischen einer einmaligen Abfindung gegen Übertragung ihrer Aktien und einer wiederkehrenden Ausgleichszahlung wählen, bei der sie Aktionäre der beherrschten Gesellschaft bleiben. Der Beherrschungsvertrag sah eine einmalige Abfindung von je 4 TLG-Aktien gegen 23 WCM-Aktien (Umtauschrelation) und eine wiederkehrende Ausgleichszahlung von 0,13 Euro brutto je WCM-Aktie vor. Dabei wurden sowohl die Umtauschrelation als auch die wiederkehrende Ausgleichszahlung auf Grundlage des Börsenwerts der Gesellschaften ermittelt. Das OLG lehnte die von den Minderheitsaktionären beantragte Erhöhung beider Kompensationen ab.

Wie begründet das Gericht sein Urteil?

Ruiz de Vargas: Die Bestimmung der Umtauschrelation anhand der Börsenwerte beruht im Wesentlichen auf der T-Online/Deutsche-Telekom-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die Besonderheit der Entscheidung des OLG liegt darin, dass auch der für die Höhe der wiederkehrenden Ausgleichszahlung maßgebliche Unternehmenswert auf Grundlage des Börsenwerts der beherrschten Gesellschaft und nicht wie üblich anhand ihres Ertragswerts bestimmt wurde. Das OLG begründet seine Entscheidung damit, dass es dem richterlichen Ermessen überlassen ist, anhand welcher Methode der zur Ermittlung der wiederkehrenden Ausgleichszahlung heranzuziehende Unternehmenswert bestimmt wird. Hierbei können die gleichen Methoden herangezogen werden wie bei der Ermittlung der einmaligen Ab­findung.

Warum wurde Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen?

Reger: Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen, da die Frage, ob die wiederkehrende Ausgleichszahlung auf der Grundlage des Börsenkurses der beherrschten Gesellschaft bestimmt werden kann, bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist. Bereits das LG Frankfurt hatte die Beschwerde zum OLG mit der Begründung zugelassen, dass Rechtsprechung zu dieser Streitfrage fehle. Der BGH hat nun die Möglichkeit, Rechtssicherheit zu schaffen.

Die WCM-Aktien sind nach wie vor börsennotiert. Könnte der Mehrheitsaktionär TLG Immobilien nun die Möglichkeit nutzen, ein Delisting oder einen Squeeze-out vorzunehmen?

Reger: Bei einem Delisting müsste TLG ein Delisting-Erwerbsangebot abgeben, bei dem eine Angebotsunterlage veröffentlicht und allen WCM-Aktionären ein Erwerbsangebot mit einer Geldleistung unterbreitet werden muss. Die Minderheitsaktionäre könnten ein solches Angebot jedoch ablehnen und wären auch nach dem Delisting noch Aktionäre der WCM. Die TLG könnte alternativ einen Squeeze-out durchführen, bei dem die Aktien aller WCM-Minderheitsaktionäre gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung auf die TLG übertragen werden. Die TLG hält derzeit 94,94% des eingetragenen Grundkapitals der WCM; daher kommt aktuell nur ein sog. verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out in Betracht, der mit Mehraufwand verbunden ist. Sobald TLG 95% des Grundkapitals der WCM hält, ist ein aktienrechtlicher Squeeze-out zulässig.

Warum ist die Höhe der Abfindung für Minderheitsaktionäre immer wieder so umstritten?

Ruiz de Vargas: Zur Durchsetzung von Strukturmaßnahmen, etwa eines Beherrschungsvertrages, müssen Hauptaktionäre kostspielige Gutachten und Prüfungsberichte in Auftrag geben. Die darin in der Regel nach der Ertragswertmethode fundamental-analytisch ermittelten Unternehmenswerte werden von Minderheitsaktionären regelmäßig nicht akzeptiert, sodass letztlich die Gerichte über diese schwierigen Bewertungsfragen entscheiden müssen. Inzwischen ziehen einige Gerichte bei börsennotierten Unternehmen den Börsenwert zur Ermittlung des Unternehmenswerts heran, da dieser einfacher und rechtssicherer zu ermitteln ist.

Rechtsanwalt Dr. Gerald Reger ist Partner von Noerr und Wirtschaftsprüfer Santiago Ruiz de Vargas Partner der Kanzlei und Vorstand der Noerr AG.

Die Fragen stellte Helmut Kipp.