Chapter-11-Verfahren von SAS ist keine Blaupause für deutsche Firmen
Frau Tashiro, die Fluggesellschaft SAS hat ihren Sitz in Stockholm. Insgesamt 14 Gruppengesellschaften haben aber bei einem Gericht in New York Gläubigerschutz beantragt. Warum geht eine skandinavische Airline mit dem Insolvenzantrag in die USA?
Man kann sagen, dass die SAS-Gruppe mit ihrem Antrag die Möglichkeiten des US-Insolvenzrechts für sich nutzt, die wohl attraktiver erscheinen als die des schwedischen Rechts: ein transatlantisches Forumshopping. Das Chapter-11-Verfahren zielt auf eine Reorganisation, die Geschäftsführung bleibt im Amt und alle 14 SAS-Unternehmen können innerhalb eines konsolidierten Verfahrens bearbeitet werden. Offenbar strebt die Gruppe einen Debt-Equity-Swap an – die Umwandlung von rund 2 Mrd. Dollar an Schulden in Eigenkapital. Die drei wesentlichen Gläubiger sind die Staaten Dänemark, Schweden und Norwegen. Zudem benötigt SAS 700 Mill. Dollar frisches Geld, ein sogenanntes DIP-Financing. Beides Themen, die bislang im schwedischen Recht so nicht gut möglich sind. Mit dem Chapter 11 erhofft man sich genügend Verhandlungsmacht mit den Leasinggebern, deren Zugriff SAS ihre Assets so erstmal entzogen hat, und den Gewerkschaften.
Welche Voraussetzungen müssen für den Gang in die Vereinigten Staaten erfüllt sein?
Um ein Chapter-11-Verfahren zu beantragen, muss ein Unternehmen zunächst nicht technisch insolvent sein, aber auch ein Sitz in den USA ist nicht zwingend. Es reicht, wenn es Vermögenswerte am Standort des Gerichts vorweisen kann. Für die 14 SAS-Unternehmen wird angegeben, dass diese jeweils 50 000 Dollar auf einem Kanzleikonto hinterlegt hätten. Zwar ist dieses Vorgehen auch in den USA Gegenstand von Diskussionen, aber eben doch mehrfach bestätigt.
Werden die Eingriffe zur Restrukturierung in europäischen Ländern anerkannt?
Das ist die Herausforderung des transatlantischen Forumshoppings. Die Antwort muss individuell für jedes Land, in dem das Unternehmen eigentlich seinen Sitz hat und seine Gläubiger und Anteilseigner tätig sind, geprüft und notfalls auch streitig verhandelt werden. Die drei Staaten scheinen hier an Bord zu sein. Die fünf größten gesicherten Leasinggeber und Flugzeugfinanzierer sitzen in Japan und Irland. Eine Akzeptanz des Chapter 11 wird wohl Teil des Vergleichspakets sein. Eine echte Herausforderung werden die Arbeitnehmer und Gewerkschaften. Generell stünden die Chancen auf eine Anerkennung im Streitfall in Deutschland dafür nicht allzu gut. Das New Yorker Gericht ist aus unserer Sicht nicht zuständig.
Ist dann ein transatlantisches Forumshopping für deutsche Unternehmen empfehlenswert?
In 99% der Fälle nicht. Mit den beschriebenen Rahmenbedingungen bei der SAS – Debt-Equity-Swap und DIP-Financing – kann es ein Weg sein. Zu den rechtlichen Unsicherheiten um die Anerkennung kommt, dass ein Chapter-11-Verfahren sehr komplex und teuer ist. Vor SAS hat es zum Beispiel 2010 der Ludwigshafener Aluminiumoxidhersteller Almatis genutzt. Dies werden gleichwohl Einzelfälle bleiben, und sie dienen nicht generell als Blaupause. Zudem hat Deutschland in den letzten Jahren als Sanierungsstandort seine internationale Wettbewerbsfähigkeit erhöht.
Reichen Instrumente wie Schutzschirmverfahren und Eigenverwaltung, mit denen Deutschland als Standort für Sanierungen attraktiver geworden ist, aus?
Die Sanierung in Eigenregie ist den Möglichkeiten eines Chapter-11-Verfahrens durchaus ebenbürtig. Zudem werden diese Verfahren und die daraus resultierenden Maßnahmen in der gesamten EU automatisch anerkannt – ein klarer Vorteil. Seit Januar 2021 können deutsche Unternehmen zudem mit dem sogenannten StaRUG eine präventive Restrukturierung angehen. Auch die wird seit dem 17. Juli 2022 EU-weit anerkannt. Ein Debt-Equity-Swap und Verfahrensfinanzierung sind in Deutschland nach Insolvenzordnung und StaRUG möglich. Für Eingriffe in Arbeits- oder Leasingverträge wie bei SAS müsste man hierzulande eine Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens durchführen.
Rechtsanwältin Dr. Annerose Tashiro leitet die internationale Abteilung für Insolvenzrecht von Schultze & Braun.
Die Fragen stellte Helmut Kipp.