GastbeitragCompliance

Die Herausforderungen der EU-Entwaldungsverordnung

Die Entwaldungsverordnung stellt ein massenhaft unterschätztes Compliance-Regime des Lieferkettenrechts dar. Unternehmen sollten den zu erwartenden Aufschub des Inkrafttretens um ein Jahr nutzen.

Die Herausforderungen der EU-Entwaldungsverordnung

Die Herausforderungen der Entwaldungsverordnung

Massenhaft unterschätztes Compliance-Regime des Lieferkettenrechts – Inkrafttreten soll um ein Jahr verschoben werden

Von Christoph H. Seibt und Marlen Vesper-Gräske *)

Noch immer ist rechtlich nicht sicher, ob die bereits am 29. Juni 2023 in Kraft
getretene EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) – wie bislang geregelt – ab dem 30. Dezember 2024 für Unternehmen unmittelbar geltendes Recht in Deutschland und den weiteren EU-Mitgliedstaaten wird. Neben Bundeskanzler Olaf Scholz und dem Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hatten weitere EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten, wie die USA und Brasilien, die EU-Kommission zum „Aufschub“ der Geltung der neuen EUDR-Pflichten aufgefordert. Als Reaktion hierauf hat die EU-Kommission am 2. Oktober 2024 einen Entwurf zur Verschiebung des Geltungsdatums um ein Jahr, also zum 30. Dezember 2025, veröffentlicht. Der Aufschub hängt jetzt von der Zustimmung des EU-Rats und des Europäischen Parlaments ab, aber angesichts der vielen offenen Fragen zur EUDR und dessen praktischer Durchsetzung ist deren Zustimmung wahrscheinlich.

Gelassenheit aus Unkenntnis

Nichtsdestotrotz bereitet die Bundesregierung seit längerem das deutsche Durchführungsgesetz vor. In diesem Gesetz werden insbesondere Regelungen zu Fragen der Zuständigkeitsverteilung von Bund und Ländern, der Befugnisse der Behörden sowie zu den Sanktionskatalogen enthalten sein; es sollte ursprünglich ebenfalls zum Jahresende in Kraft treten.

Die deutsche Überwachungsbehörde, die dem BMEL unterstellte Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), sowie Praktiker gehen davon aus, dass diese Sonderausprägung des primär umwelt- und daneben auch menschenrechtsschützenden Lieferkettenrechts etwa 150.000 deutsche Marktteilnehmer und Händler betreffen wird, die dann rund 20 Millionen Sorgfaltserklärungen zu einzelnen Produkten pro Jahr abgeben müssen. Die EUDR erweitert die Compliance-Pflichten der Geschäftsleiter auf die Lieferkette und ergänzt damit das bekannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Angesichts der neuen, weitreichenden EUDR-Pflichten für Unternehmen vieler Geschäftssektoren überraschte die Gelassenheit vieler Geschäftsleiter. Vermutlich basiert diese häufig auf Unkenntnis des – bei genauer Analyse weiten – Anwendungsbereichs.

Sieben Rohstoffe

Zwar bezieht sich die EUDR nur auf sieben, enumerativ aufgeführte natürliche Rohstoffe, nämlich Rinder, Kakao, Kaffee, Palmöl, Kautschuk, Soja und Holz. Diese Rohstoffe stehen nach EU-Bewertung in engem Zusammenhang mit der entgegenzuwirkenden, globalen Entwaldung, weshalb für ihren Anbau und ihre Lieferkette bis zum Endprodukt bestimmte, an das LkSG (und die gerade verabschiedete EU-Lieferkettenrichtlinie) erinnernde Sorgfaltspflichten einzuführen seien. Allerdings folgt aus dieser Rohstoffbegrenzung keine trennscharfe Sektorenabgrenzung, da beispielsweise alle wirtschaftlichen Handelstätigkeiten erfasst sind, nicht nur der Handel mit Produkten als Hauptgeschäftstätigkeit. Demnach müssen die EUDR-Pflichten nicht nur von Unternehmen offensichtlich relevanter Sektoren wie Einzelhandel, Kaffee- und Schokoladenindustrie eingehalten werden, sondern betreffen auch den Großteil der deutschen Industrie wie die Automobil-, Textil- oder Kosmetikindustrie.

Risikoanalyse und Dokumentation

Die EUDR-Compliance-Pflichten umfassen wie das LkSG (i) die Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen, (ii) die Einführung von Risikominimierungsmaßnahmen sowie (iii) die umfassende Dokumentation und Berichterstattung. Die Kardinalnorm des Art 3 EUDR stellt klar: Die sieben Rohstoffe und daraus hergestellte relevante Erzeugnisse dürfen nur dann in Verkehr gebracht oder auf dem EU-Binnenmarkt bereitgestellt oder ausgeführt werden, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich (i) sie sind „entwaldungsfrei“, (ii) sie wurden gemäß den einschlägigen Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes erzeugt und (iii) für sie liegt eine Sorgfaltserklärung vor. Der Kernbegriff der Entwaldungsfreiheit wird derart definiert, dass relevante Produkte Rohstoffe enthalten, mit diesen gefüttert oder unter deren Verwendung hergestellt wurden, die auf Flächen erzeugt wurden, die nach dem 31. Dezember 2020 nicht entwaldet wurden.

Sorgfaltserklärungen

Während das LkSG eher „stille“ Compliance-Pflichten enthält, deren Erfüllung nur aus Anlass gegenüber der Überwachungsbehörde nachzuweisen sind, verlangt die EUDR – sofern man Marktteilnehmer oder Händler ist – fortlaufend Abgaben von sog. Sorgfaltserklärungen, die die Zurückverfolgbarkeit des Produkts bzw. der Rohstoffe sowie die Bewertung, ob diese entwaldungsfrei hergestellt wurden, ermöglichen soll. Allerdings sollte es zulässig sein, für mehrere, zeitlich gestaffelte Lieferungen desselben Produkts aus derselben Quelle „Sammelmeldungen“ auch im Voraus abzugeben, jedenfalls sofern der erfasste Lieferzeitraum ein Jahr nicht überschreitet.

Händler in der nachgelagerten Lieferkette können die Sorgfaltserklärungen ihrer Lieferanten über das künftige EU-Informationssystem und die Eingabe der jeweiligen Referenznummer einsehen; allerdings fehlen noch konkrete Informationen zur Funktionsweise des Systems. Zudem treffen Marktteilnehmer der nachgelagerten Lieferkette erleichterte Sorgfaltspflichten (siehe Artikel 4 Absatz 9 EUDR): Sie dürfen auf bereits übermittelte Sorgfaltserklärungen verweisen, nachdem sie „festgestellt“ haben, dass die Sorgfaltspflicht bereits für die relevanten Erzeugnisse erfüllt wurden. Für die „Feststellung“ sollten eine qualifizierte Plausibilisierung der Sorgfaltserklärung und Stichprobenprüfungen ausreichen; geklärt sind die spezifischen Anforderungen noch nicht.

Strenge Aufsicht

Die EUDR-Pflichten unterliegen – wie beim LkSG – einer strengen behördlichen Aufsicht mit eingriffsintensiven Durchsetzungs- und Sanktionsbefugnissen. Während das LkSG durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) mit derzeit etwa 100 Personalstellen überwacht wird, ist die BLE in Bonn für die EUDR-Überwachung zuständig. Dem Vernehmen nach soll bei der BLE bis zum Jahresende die Personalstärke auf 36 Stellen für die neue Mammutaufgabe aufgestockt werden. Zur Erleichterung der Aufgabe wird auch die BLE eine risikobasierte Überwachung vorsehen, die auf einer intern abgestimmten „Durchsetzungspolitik“ und einem automatisierten Punkte-Verfahren zur Risikobewertung fußt.

Außerordentlich komplex

Die sog. Benchmarking-Liste von Ländern mit geringem, mittleren bzw. hohem Entwaldungsrisiko (Artikel 29 Absatz 2 EUDR) wurde noch nicht veröffentlicht, soll aber bis Jahresende vorliegen; bislang wurde allein die methodische Vorgehensweise für die Einstufung mitgeteilt. Bis dahin wird allen Ländern gleichermaßen ein „normales“ Risiko zugeordnet. Die in dem deutschen Durchführungsgesetz zu regelnden Sanktionen werden Ordnungswidrigkeiten mit Bußgeldern sowie dem Vernehmen nach auch Straftatbestände enthalten. Wegen der Ähnlichkeit der LkSG- mit den EUDR-Compliance-Pflichten sollten die betroffenen Unternehmen davon ausgehen, dass sich BLE und BAFA bei ihrer jeweiligen Überwachungstätigkeit eng abstimmen werden. Die EUDR ist trotz textlicher Kürze außerordentlich komplex und teilweise gehen die Sorgfaltsanforderungen über diejenigen des LkSG hinaus. Viele Rechtsfragen sind derzeit noch offen und große Erwartungen werden an weitere Auslegungshilfen der EU-Kommission gestellt.

Compliance-System muss ergänzt werden

Nichtsdestotrotz ist abseits von eher technischen Rechtsfragen – beispielsweise zur Anwendbarkeit des Pflichtenkatalogs bei nur internem Gebrauch von Produkten („use in business“) wie im Hotel- und Gaststättengewerbe oder dem Umgang mit Holzpaletten für Transport oder Verpackung – nun trotz des wahrscheinlichen Geltungsaufschubs von allen Unternehmen zu klären, ob sie Rohstoffe oder Produkte einführen, ausführen oder mit diesen Handel betreiben (werden), welche unter die EUDR fallen und somit deren Anwendbarkeit eröffnen. Ist das der Fall, muss nunmehr das bestehende Compliance-System um das Entwaldungs-Lieferkettenregime ergänzt werden, einschließlich vertraglicher Absicherungen wie Informationspflichten und Audit-Rechten gegenüber Lieferanten.

Zeitpuffer nutzen

Unternehmen sollten den voraussichtlich gewährten „Zeitpuffer“ nutzen, um solide EUDR-Compliance-Strukturen und -Kenntnisse aufzubauen und zu testen. LkSG-verpflichtete Unternehmen sollten auf die insoweit schon bestehende lieferkettenrechtliche Compliance-Organisation und Expertise in der Gesellschaft bzw. im Konzern aufbauen. Unternehmen, die nur auf Grund der EUDR in das Lieferkettenrecht einbezogen werden, sollten jetzt auch eine potentielle Anwendbarkeit der EU-Lieferketten-Richtlinie auf sie prüfen, um von Anbeginn einen ganzheitlichen Lieferketten-Compliance-Ansatz verfolgen zu können. Die entsprechenden Best Practices der Risikominimierungsmaßnahmen bilden sich gerade aus.

*) Prof. Dr. Christoph H. Seibt ist Partner von Freshfields Bruckhaus Deringer und Honorarprofessor der Bucerius Law School in Hamburg, Dr. Marlen Vesper-Gräske ist Principal Associate bei Freshfields.

Prof. Dr. Christoph H. Seibt ist Partner von Freshfields Bruckhaus Deringer und Honorarprofessor der Bucerius Law School in Hamburg, Dr. Marlen Vesper-Gräske ist Principal Associate bei Freshfields.