Karsten Kiesel

Die Insolvenzanfechtung wird individueller

Was Unternehmen nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs beachten sollten: Karsten Kiesel von der Kanzlei Schultze & Braun sieht ein gutes Signal für mögliche Anfechtungsgegner.

Die Insolvenzanfechtung wird individueller

Herr Kiesel, Geschäfte mit kriselnden Unternehmen sind risikobehaftet – auch weil eine Insolvenzanfechtung für Insolvenzverwalter bis dato leicht zu belegen war. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dies nun mit einer Entscheidung geändert und die Vorsatzanfechtung neu justiert. Was bedeutet das?

Die Insolvenz eines Geschäftspartners kann für Unternehmen enorme finanzielle Auswirkungen haben. Eine davon ist die Vorsatzanfechtung: Im Extremfall kann der Insolvenzverwalter Zahlungen bis zu vier Jahre rückwirkend zurückfordern – bis dato war das relativ leicht möglich. Zum Beispiel reichte es häufig aus, wenn ein Unternehmen wusste, dass sein Geschäftspartner erkanntermaßen zumindest drohend zahlungsunfähig war. Nach der BGH-Entscheidung von Anfang Mai sind die Anforderungen für eine Anfechtung in vielen Fällen künftig höher, und einen Automatismus soll es nicht mehr geben.

Wie ist die Entscheidung vor dem Hintergrund der Insolvenzentwicklung einzuordnen?

Das ist auf jeden Fall ein gutes Signal für mögliche Anfechtungsgegner, da die Entscheidung das finanzielle Risiko bei Geschäften mit Krisenunternehmen grundsätzlich senkt – jedoch nur, wenn dessen Liquiditätsprobleme noch nicht weit fortgeschritten sind oder berechtigte Hoffnung auf Besserung besteht. Dann steigen die Chancen, sich gegen eine Anfechtung zu verteidigen. Die Entscheidung zeigt allerdings auch: Kann der zahlungsunfähige Geschäftspartner offensichtlich nicht mehr alle seine Gläubiger befriedigen, ist die Fortsetzung der Geschäftsbeziehung riskant und das Anfechtungsrisiko auch künftig hoch.

Inwiefern wird die Position der Gläubiger gestärkt?

Die Perspektive eines kriselnden Geschäftspartners auf seine wirtschaftliche Zukunft gewinnt an Bedeutung. Man kann also durchaus sagen, dass die Insolvenzanfechtung individueller wird. Ein Beispiel aus Gläubigersicht: Ich habe Anhaltspunkte, dass bei meinem Geschäftspartner die Zahlungsunfähigkeit droht oder sie sogar schon eingetreten ist. Seine Zahlungen konnten dann bisher leicht angefochten werden. Denn da ich wusste, dass er zahlungsunfähig ist, wurde nach der bisherigen Rechtsprechung automatisch angenommen, dass mein Geschäftspartner die Forderungen aller seiner Gläubiger nicht mehr bedienen kann und diese daher erkennbar benachteiligt werden. Diesem Automatismus erteilt der BGH nun eine Absage.

Was ist der Grund dafür?

Es kann ja durchaus sein, dass mein Geschäftspartner ein saisonales Geschäft betreibt oder er nach Corona wieder mit einer steigenden Nachfrage und einem Meistern der Situation rechnen darf. Wenn das nach objektiven Kriterien der Fall sein kann, lässt sich aus der aktuellen Liquiditätssituation ja nicht automatisch schließen, dass durch eine Zahlung an mich die anderen Gläubiger benachteiligt werden. Das hat der BGH nun berücksichtigt. Das heißt aber nicht, dass eine erkennbar eingetretene Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich bedeutungslos ist.

Worauf sollten Unternehmen achten, die Geschäftsbeziehungen mit Krisenfirmen unterhalten?

Die Hoffnung auf Besserung allein genügt nicht. Mein Geschäftspartner kann seine Zukunft noch so rosig darstellen – ohne objektive Umstände und eine valide Dokumentation wird mich das letztlich nicht vor der Anfechtung schützen. Unternehmen sollten daher die Anfechtungsrisiken im Geschäftsverkehr mit kriselnden Geschäftspartnern ernst nehmen und entsprechend vorbeugen. Dazu zählt auch, dass bei aufkommenden Liquiditätsproblemen möglichst nur noch sogenannte Bargeschäfte erfolgen sollten, bei denen Leistung und die konkrete Zahlung dafür unmittelbar und in geringem zeitlichem Abstand ausgetauscht werden.

Welche Fragen lässt der BGH offen?

Da ist insbesondere die Frage, in welchen Fällen der Schuldner eine positive Zukunftsperspektive haben „darf“? Das wird erst noch gerichtlich geklärt werden müssen. Man kann also durchaus sagen: Es wird für Unternehmen bei der Insolvenzanfechtung etwas besser, aber wie genau ist noch nicht klar.

Karsten Kiesel ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Schultze & Braun. Er ist Experte für Sanierungs- und Insolvenzberatung sowie für die Abwehr von krisen- und insolvenzspezifischen Anfechtungssachverhalten.

Die Fragen stellte Helmut Kipp.

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