Diversität verlangt den Willen zum Wandel
Von Sören Seidel*)
Vielfalt ist ein Treiber für Innovation. Das Zusammenwirken unterschiedlicher Erfahrungen, Fähigkeiten, Ideen, Anschauungen und Haltungen wirkt sich bekanntermaßen positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen aus. Ein effektives und rechtssicheres Diversity Management ist deshalb essenziell. Börsennotierte Unternehmen stehen bereits aufgrund regulatorischer Vorgaben besonders im Blickpunkt. Einerseits gilt es, Konzepte und Ziele zum Thema Diversität zu formulieren, andererseits in der Praxis glaubwürdige Maßnahmen für Diversity & Inclusion (D&I) zu entwickeln. Persönlichkeitsrechte, Antidiskriminierungsschutz und Datenschutz stellen Unternehmen im Hinblick auf die Erhebung von Diversitätskriterien und die Umsetzung von D&I-Zielvorgaben regelmäßig vor Probleme.
Die Berichterstattung von Unternehmen zu Diversität betreffenden Aspekten hat kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Seit dem Geschäftsjahr 2017 sollen große Kapitalgesellschaften soziale und ökologische Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit in ihrer Erklärung zur Unternehmensführung offenlegen. Dies schließt eine Beschreibung des Diversitätskonzepts ebenso ein wie dessen Ziele, die Art und Weise der Umsetzung und die im Geschäftsjahr erreichten Ergebnisse. Grundlage hierfür bildet das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz.
Ähnliche Empfehlungen lassen sich dem Deutschen Corporate Governance Kodex entnehmen, wonach der Aufsichtsrat bei der Zusammensetzung des Vorstands sowie der Vorstand bei der Besetzung von Führungsfunktionen im Unternehmen auf Diversität achten sollen. Die Möglichkeit für Unternehmen, begründet von derartigen Erklärungen und Maßnahmen abzusehen („Comply-or-Explain-Ansatz“), dürfte im Hinblick auf die gestiegenen Erwartungshaltungen von Investoren, Kunden und Vertragspartnern immer weniger ein gangbarer Weg sein. Mit Umsetzung des Zweiten Führungspositionengesetzes (FüPoG II) hat der Gesetzgeber neben einer Begründungspflicht für die Zielgröße „null“ und Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzung der Berichtspflichten auch eine verbindliche Geschlechterquote für den Vorstand von paritätisch mitbestimmten, börsennotierten Aktiengesellschaften eingeführt.
Auch abseits dieser Vorgaben sollten Unternehmen ein wirtschaftliches wie gesellschaftliches Interesse an Diversität haben, nicht zuletzt aus Gründen des sich verschärfenden Fachkräftemangels.
Spannungsfeld Datenschutz
Primär verfolgt ein effektives D&I-Management den Zweck, die bestehenden Organisationsstrukturen auf ihre Durchlässigkeit zu untersuchen, den aktuellen Status quo zu analysieren und Folgemaßnahmen zum Ausgleich von Defiziten einzuleiten. Die Erhebung des Status quo im Rahmen eines Diversity Surveys ist regelmäßig mit der Preisgabe von persönlichen Merkmalen und teils sensiblen und insoweit besonders schützenswerten Daten im Sinne der Datenschutzgrundverordnung verbunden. Das Interesse von Unternehmen an einer Datenerhebung steht im Spannungsfeld mit dem Persönlichkeitsrecht der auskunftgebenden Personen und datenschutzrechtlichen Beschränkungen.
Als Mindestvoraussetzung für die Zulässigkeit einer nicht anonymen Datenerhebung zu Diversitätsmerkmalen müssen Unternehmen ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse haben. Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn die Datenerhebung für das Beschäftigungsverhältnis erforderlich ist und darüber hinaus die Interessen der Beschäftigten am Schutz des Persönlichkeitsrechts hinter den schutzwürdigen Interessen des Unternehmens zurücktreten. Die mit einem D&I-Management verfolgte gute Absicht zur Umsetzung von D&I-Vorgaben und Förderung von Diversität wird den strengen datenschutzrechtlichen Anforderungen an die Erhebung von personenbezogenen Diversitätsdaten jedoch in der Regel nicht genügen. Die Datenerhebung mag zwar im berechtigten Interesse des Unternehmens und der Belegschaft sein, dennoch wiegt der Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung schwer. Eine nicht anonymisierte Datenerhebung im Hinblick auf Diversität im Unternehmen wird für die Vorbereitung von D&I-Maßnahmen zudem nur selten erforderlich sein; ausreichend ist in der Regel eine anonyme Bestandsaufnahme.
Eine generelle Pflicht zur Teilnahme an D&I-Surveys und Preisgabe von Diversitätsmerkmalen besteht folglich nicht. Grundsätzlich zulässig ist dagegen die Erhebung von personenbezogenen D&I-Daten mit wirksamer Einwilligung der Betroffenen, an die jedoch strenge datenschutzrechtliche Anforderungen gestellt werden. Im Arbeitsverhältnis kann bereits die „Freiwilligkeit“ einer formal zulässig erteilten Einwilligung fraglich sein. Unternehmen können dem damit begegnen, dass sie auf Fragebögen unter den Antwortmöglichkeiten auch „keine Angabe“ anbieten und damit eine echte Wahl lassen. Unproblematisch zulässig und als „Best Practice“ zu bewerten ist die anonyme Abfrage von Diversitätsmerkmalen, z. B. unter Einsatz einer verschlüsselten Software. Dies dürfte den Unternehmensinteressen an einer allgemeinen Bestandsaufnahme regelmäßig genügen.
Gezielte Förderung
Die Feststellung des Ist-Zustands bereitet den Weg für ein Diversitätskonzept, als dessen Bestandteil es zentral sein wird, Rahmenbedingungen für Chancengleichheit zu schaffen und bestehende D&I-Barrieren zu überwinden. Als zulässige Maßnahmen kommen beispielsweise Zielvorgaben für eine gemischte Belegschaftszusammensetzung in Betracht. Kurzfristig steht zudem der Ausgleich bestehender Diversitätsdefizite durch gezielte Förderung bestimmter Personengruppen im Vordergrund (sog. „Affirmative Action“).
Typische Formen von Affirmative Action sind insbesondere die Einführung von Quoten für die bevorzugte Berücksichtigung von Bewerbern des im Unternehmen unterrepräsentierten Geschlechts bei Einstellungen oder Beförderungen. Sie sind nicht unproblematisch, da sie reflexartig eine Benachteiligung der nicht geförderten Personengruppen bewirken können und sich damit am Maßstab des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes messen lassen müssen. Dies gilt nicht nur für Beschäftigte, sondern auch für Organe von juristischen Personen, jedenfalls soweit die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betroffen sind.
Unterschieden werden muss dabei zwischen zulässigen Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit und unzulässigen Maßnahmen zur Herstellung von Ergebnisgleichheit. Starre Unternehmensquoten und unbedingte Vorrangregelungen bei gleicher Qualifikation sind regelmäßig unzulässig. Vorrangregelungen können hingegen – jedenfalls bei gleicher Qualifikation – zulässig sein, wenn sie nicht zu einem Entscheidungsautomatismus zugunsten der Personen mit einem unterrepräsentierten Diversitätsmerkmal führen. So ist beispielsweise eine Geschlechterquote nur als weiche Quote insoweit zulässig, als das Geschlecht in der Minderheit nicht bei gleicher Qualifikation den absoluten und unbedingten Vorrang haben darf.
Das Auswahlermessen kann jedoch weitergehend reduziert sein, soweit eine Geschlechterquote gesetzlich vorgeschrieben ist, wie beispielsweise nach dem durch das FüPoG II eingeführten § 76 Abs. 3a Aktiengesetz. Hiernach muss der Vorstand einer paritätisch mitbestimmten, börsennotierten Aktiengesellschaft, der aus mehr als drei Mitgliedern besteht, künftig zwingend mindestens eine Frau und einen Mann als Mitglied haben; eine Vorstandsbestellung, die gegen diese Vorgabe verstößt, ist nichtig.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Gesetzgeber neben Empfehlungen zunehmend dazu übergeht, gesetzliche Diversitätspflichten aufzuerlegen, wie zuletzt mit Einführung des FüPoG II. Auch wenn Persönlichkeits-, Antidiskriminierungs- und Datenschutz rechtliche Grenzen setzen, scheitern wirksame D&I-Maßnahmen in der Praxis selten an gesetzlichen Hürden, sondern in der Regel am Umsetzungswillen der Unternehmen.
*) Sören Seidel ist Partner von CMS Deutschland in Hamburg.