Goldstandard mit ungewissen Erfolgsaussichten
Goldstandard mit ungewissen Erfolgsaussichten
Europäischer Green Bond Standard muss sich in der Praxis noch bewähren − Mehraufwand für Emittenten
Von Alexander Schlee
und Martin Rojahn *)
Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, muss sehr viel Geld in die Transformation der Wirtschaft investiert werden. Für die Europäische Union ist die EU Kommission von einem Volumen von einer Billion Euro bis zum Jahr 2030 ausgegangen. Angesichts angespannter öffentlicher Haushalte wird es entscheidend sein, genügend private Investitionen zu mobilisieren.
Eine wichtige Rolle kommt dabei den Kapitalmärkten zu. Ein neuer EU-Standard soll nun den Markt für nachhaltige Anleihen („Green Bonds“) weiter ausbauen und bestehende Herausforderungen adressieren.
Feste Kriterien
„Green Bonds“ unterscheiden sich von gewöhnlichen Anleihen durch die Zusage des Emittenten, die aufgenommenen Gelder ausschließlich für nachhaltige Investitionen zu verwenden. Die erlösten Mittel werden gemäß vorab festgelegter Kriterien eingesetzt, etwa für die Umrüstung von Produktionsanlagen zur Reduktion von Emissionen. Unternehmen, Finanzinstitute aber auch die öffentliche Hand und internationale Organisationen emittieren derartige Papiere in großem Umfang. Laut Bloomberg wurden 2023 weltweit nachhaltige Anleihen in einem Gesamtvolumen von 939 Mrd. US-Dollar begeben.
Der Boom bei nachhaltigen Kapitalmarktinstrumenten verlor zuletzt aber an Dynamik. Neben externen Faktoren mit Auswirkungen auf den Anleihemarkt insgesamt wird der Markt für „Green Bonds“ durch zwei spezifische Herausforderungen ausgebremst: Fehlende Vergleichbarkeit und mangelnde Transparenz.
„Green Bonds“ unterliegen keiner Regulierung; der Markt wird von dezentralen freiwilligen Standards und Gepflogenheiten bestimmt. Die inhaltliche Ausgestaltung des „grünen“ Elements bleibt dabei zumeist dem Emittenten überlassen; er kann weitgehend definieren, welche Investitionen für Zwecke der Anleihe als „nachhaltig“ gelten sollen. Dieses Vorgehen birgt jedoch Herausforderungen für beide Seiten.
Haftungsrisiken
Einerseits ist es möglich, dass die Festlegungen des Emittenten nicht den Erwartungen der Anleger entsprechen − was negative Marktreaktionen oder sogar Haftungsrisiken mit sich bringen kann. Das kann selbst dann der Fall sein, wenn noch kein offensichtlicher Missbrauch hinsichtlich des behaupteten nachhaltigen Mitteleinsatzes vorliegt („Greenwashing“). Andererseits ist für die Anleger spiegelbildlich eine detaillierte Prüfung der spezifischen Merkmale der Anleihe zumeist unumgänglich, weil der Begriff „Green Bond“ für sich genommen wenig Aussagekraft besitzt.
Der konkrete Einsatz der erlösten Gelder ist zudem von außen durch die Investoren kaum zu überprüfen. Zwar empfehlen die im Markt verbreiteten freiwilligen Leitlinien eine Berichterstattung an die Anleger; eine eindeutige Praxis hinsichtlich Umfang und Inhalt dieser Berichte ist jedoch nicht zu erkennen. Mangelnde Transparenz erschwert Investitionsentscheidungen und schürt Vorbehalte bezüglich der Verlässlichkeit von nachhaltigen Anleihen.
Antwort aus Brüssel
Als Antwort auf diese Herausforderungen hat die EU den Europäischen Green Bond Standard (Verordnung (EU) 2023/2631) entwickelt. Er soll durch verbindliche Vorgaben das Informations- und Schutzniveau von Anlegern erhöhen und durch Transparenz und Vergleichbarkeit Angebot und Nachfrage bei nachhaltigen Finanzprodukten stärken. Das Label soll dabei zum „Gold Standard“ für nachhaltige Anleihen werden.
Die Verordnung sieht die Bezeichnung „Europäische Grüne Anleihe“ oder „EuGB“ für Anleihen vor, bei denen die Emissionserlöse vor Fälligkeit des Wertpapiers in wirtschaftliche Tätigkeiten investiert werden, die den Anforderungen der EU-Taxonomie entsprechen. Der Emittent muss zudem Berichts- und Informationspflichten vor und nach Begebung der Anleihe erfüllen. Schließlich ist eine Verifizierung dieser Dokumentation durch externe Prüfer verpflichtend vorgeschrieben.
Die Verwendung des Labels ist freiwillig und grundsätzlich für jede Art von Anleihe möglich sofern die genannten Bedingungen erfüllt werden. Durch Nutzung des Labels unterwirft sich der Emittent der Beaufsichtigung durch die zuständigen Behörden; bei Missbrauch drohen empfindliche Strafen.
Mit Taxonomie verknüpft
Zentrale Anforderung des Labels ist die Verknüpfung mit der EU-Taxonomie, einem Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten. Um als „nachhaltig“ im Sinne der EU-Taxonomie zu gelten, muss eine Wirtschaftsaktivität (a) einen Beitrag zu einem von sechs definierten Klima- und Umweltschutzzielen leisten, darf (b) keines der anderen Ziele beinträchtigen und muss (c) unter Einhaltung von Mindestschutzanforderungen etwa im Hinblick auf Menschenrechte ausgeübt werden.
Der Emittent muss die aus dem Verkauf der Anleihe erlösten Gelder also zum Beispiel für die Anschaffung von Anlagegütern verwenden, die für Wirtschaftsaktivitäten genutzt werden, die im Sinne der EU-Taxonomie „nachhaltig“ sind. Anleger können bei einem EuGB somit mit wenig Aufwand die beabsichtigte Verwendung der Gelder erfassen und vergleichen.
Die zweite Säule des Europäischen Green Bond Standards sind verbindliche Anforderungen an Dokumentation und Berichterstattung. Neben der verpflichtenden Veröffentlichung eines gebilligten Wertpapierprospekts muss der Emittent vor der Platzierung den Anlegern auch ein Informationsblatt (Fact Sheet) zur Verfügung stellen, in dem die geplante Erlösverwendung übersichtlich dargestellt wird. Ist die Anleihe begeben, hat der Emittent in regelmäßigen Abständen in einem Bericht (Allocation Report) offenzulegen, in welcher Höhe die Erlöse bereits verwendet wurden und wofür. Schließlich muss mindestens einmal während der Laufzeit der Anleihe in einem sogenannten Wirkungsbericht (Impact Report) dargestellt werden, welche Umweltauswirkungen sich durch den Einsatz der Gelder und die damit zusammenhängenden Investitionen ergeben haben.
Investoren können somit nachvollziehen, was mit dem überlassenen Kapital geschieht und welche Veränderungen konkret bewirkt wurden. Für sämtliche dieser Dokumente sind verpflichtende Vorlagen zu verwenden, so dass Anleger die gewünschten Informationen schnell auffinden und vergleichen können.
Unabhängige Überprüfung
Die finale Anforderung zur Nutzung der Bezeichnung „EuGB“ betrifft die unabhängige externe Überprüfung. Ein vom Emittenten beauftragter Prüfer hat eine Stellungnahme zum Informationsblatt sowie zu bestimmten Berichten abzugeben und zu beurteilen, inwieweit die Anforderungen der Verordnung erfüllt wurden. Die Stellungnahmen sind auch Investoren zur Verfügung zu stellen. Externer Prüfer eines EuGB dürfen nur Unternehmen sein, die bei der zuständigen Europäischen Aufsichtsbehörde ESMA registriert sind und umfangreiche Anforderungen hinsichtlich fachlicher Kompetenz, Unabhängigkeit und interner Prozesse erfüllen. Durch die hoheitliche Beaufsichtigung der Prüfer soll das erforderliche Schutzniveau für Anleger sichergestellt werden.
Wenig Erfahrung im Markt
Die Verordnung ist erst vor wenigen Wochen in Kraft getreten, und es gibt nur wenige praktische Erfahrungen mit dem neuen Standard. Zum Zeitpunkt dieses Beitrags wurde in Europa erst eine Handvoll Europäischer Grüner Anleihen emittiert. Bereits jetzt ist aber erkennbar, dass die Begebung eines EuGB für die Mehrzahl von möglichen Emittenten eine erhebliche Herausforderung darstellt. Insbesondere die vollständige Verwendung der Erlöse im Einklang mit der EU-Taxonomie ist angesichts der umfangreichen technischen Vorgaben, unzureichender Datenlage und komplexer Geschäftsmodelle vielfach nicht ohne Weiteres realisierbar. Ein nennenswertes Angebot von Europäischen Grünen Anleihen ist daher wohl erst mittelfristig zu erwarten.
Der Erfolg des Konzeptes wird auch davon abhängen, ob dem deutlichen Mehraufwand für den Emittenten ein messbarer Vorteil bei der Platzierung und Preisfindung der Wertpapiere gegenübersteht.
Zudem wird das Verhältnis zu den parallel weiterexistierenden dezentralen Marktstandards für Green Bonds zu beobachten sein. Sollten Investoren eine klare Präferenz für den „Goldstandard“ bei nachhaltigen Anleihen haben, dürfte dies, Auswirkungen auf den gesamten Markt für „Green Bonds“ haben − wie vom europäischen Gesetzgeber gewünscht. Beschränken sich die Vorteile für Emittenten dagegen auf einen kurzen PR-Effekt, dürfte die Europäische Grüne Anleihe ein Exot am Markt bleiben.
*) Dr. Alexander Schlee ist Rechtsanwalt und Partner, Martin Rojahn ist Rechtsanwalt und Counsel bei Linklaters.