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EU will Insol­venz­verfahren ver­einheit­lichen

Das Insolvenzrecht der EU-Mitgliedstaaten ist bislang kaum vereinheitlicht worden. Mit ihrem Richtlinienentwurf bereitet die Kommission nun eine Mindestharmonisierung vor.

EU will Insol­venz­verfahren ver­einheit­lichen

Von Joachim Ponseck und Tim Hosgör *)

Können sich Investoren bald auf eine überschaubare Risikobewertung mit Blick auf vereinheitlichte Insolvenzverfahren innerhalb der EU verlassen? Die EU-Kommission hat am 7. Dezember 2022 einen Richtlinienentwurf zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts in den EU-Mitgliedstaaten vorgelegt. Zwar wird noch Zeit vergehen, bis nach umfangreichen Anhörungs- und Kommentierungsrunden aus dem Richtlinienentwurf eine EU-Richtlinie erwächst. Wenn es aber so kommt, wäre dies eine bedeutende Neuerung.

Ähnlich wie das Strafrecht ist das Insolvenzrecht der EU-Mitgliedstaaten bislang kaum durch EU-Verordnungen und Richtlinien vereinheitlicht worden. Entsprechend ist es noch sehr national geprägt mit teils deutlichen Unterschieden von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat.

Im Wesentlichen ist auf EU-Ebene bislang nur geregelt, welche Gerichte welchen Landes für ein Insolvenzverfahren zuständig sind (sogenanntes COMI-Prinzip) und dass die Entscheidungen eines Insolvenzgerichts in den übrigen Mitgliedstaaten anerkannt werden. Erste Schritte zur Angleichung des Restrukturierungsrechts ist die EU im Sommer 2019 gegangen, indem sie den Mitgliedstaaten durch eine Richtlinie aufgab, Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten einen Rechtsrahmen für Restrukturierungen außerhalb eines Insolvenzverfahrens anzubieten. Deutschland hat diese Richtlinie durch die Einführung des sogenannten Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (kurz: StaRUG) im Jahr 2021 umgesetzt, welches im Wesentlichen bilanzielle Restrukturierungen vereinfacht, indem Gläubiger diese durch Mehrheitsbeschluss und ohne Einstimmigkeitserfordernis beschließen können.

Das Motiv für die nun geplante EU-Rechtsetzung im materiellen Insolvenzrecht dürfte sicher der Wettbewerb des EU-Binnenmarktes mit anderen Wirtschaftsräumen sein. Ein planbares und effizientes Insolvenzverfahren ist ein wesentlicher Faktor für die Risikobewertung von Investitionen.

Insofern wäre ein gut durchdachtes und an wichtigen Punkten im Sinne einer Mindestharmonisierung vereinheitlichtes Insolvenzregime in den 27 EU-Mitgliedstaaten ein wichtiger Schritt nach vorn im Standortwettbewerb etwa mit den USA oder dem Vereinigten Königreich.

Zeitliche Zweiteilung

Für einige der im Entwurf vorgeschlagenen Regelungen dürfte das deutsche Insolvenzrecht Pate gestanden haben und sie dürften folglich in Deutschland zu nur wenig Umsetzungsaufwand führen. Dies betrifft etwa die geplanten Mindestharmonisierungen in den Bereichen der Insolvenzantragspflicht, der Gläubigerausschüsse und des Insolvenzanfechtungsrechts.

Im Hinblick auf die im Richtlinienentwurf vorgesehene Einführung eines sogenannten „Pre-Pack“-Insolvenzverfahrens könnte das anders sein. Solche Verfahren sind zwar in diversen Rechtsordnungen bekannt, in Deutschland aber jedenfalls unter dieser Bezeichnung nicht.

Hierzulande wird der Begriff „Pre-Pack-Verfahren“ vor allem mit der englischen Administration und teilweise dem US-amerikanischen Chapter-11-Verfahren assoziiert. Insbesondere die Administration scheint der in dem Richtlinienentwurf vorgesehen Definition des Pre-Pack-Verfahrens am Nächsten zu kommen und dort sind Praxis und Begrifflichkeit am gängigsten.

Im Ausgangspunkt handelt es sich um die auch in Deutschland häufige übertragende Sanierung eines Unternehmens. Dabei werden die Vermögenswerte der insolventen Gesellschaft durch den Insolvenzverwalter im Rahmen eines Asset-Deals veräußert und das Unternehmen als Ganzes mit jedenfalls der Mehrzahl der Mitarbeiter erhalten. Um das Stigma der Insolvenz dabei so gering wie möglich zu halten und eine gegebenenfalls kostspielige Unternehmensfortführung durch den Administrator zu vermeiden, werden der Insolvenzantrag und der Verkaufsprozess parallel vorbereitet, das Verfahren mit dem präferierten Kandidaten für das Amt des späteren Administrators im Detail vorbesprochen und am Tag der Antragsstellung bei Gericht eingereicht, genehmigt und umgesetzt. Das eigentliche Insolvenzverfahren dauert so teilweise nur wenige Stunden.

Das neue gesamteuropäische Pre-Pack-Verfahren soll nach dem Richtlinienentwurf ähnlich ausgestaltet sein. Auch hier soll das Unternehmen als laufender Betrieb verkauft werden, und zwar auf Grundlage eines Vertrages, der vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vertraulich unter der Aufsicht eines vom Gericht bestellten Sachwalters ausgehandelt wird. Ziel dieser Vorbereitungsphase ist es, einen geeigneten Käufer für das Unternehmen oder Teile hiervon zu finden, der das Unternehmen schuldenfrei erwerben kann.

Dabei sieht der Richtlinienentwurf unbeschadet des diskreten und schnellen Charakters durchaus Mechanismen vor, die sicherstellen sollen, dass im Sinne einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung der Marktpreis des Unternehmens ermittelt wird. Erst anschließend soll ein kurzes Insolvenzverfahren stattfinden, in dem der vorverhandelte Verkauf förmlich genehmigt und vollzogen wird.

Die sogenannte Liquidationsphase dient der Bestätigung und Umsetzung des vorverhandelten Verkaufs sowie der anschließenden Verteilung der Verwertungserlöse an die Gläubiger. Details zum Übergang von der Vorbereitungsphase in die Liquidationsphase enthält der Richtlinienentwurf nicht.

Deutsche Insolvenzrechtler sind sich uneins, ob das für Deutschland eine Revolution wäre oder ob wir Pre-Pack-Insolvenzverfahren tatsächlich bereits kennen, nur ohne sie als solche zu bezeichnen. Je nachdem, wie der deutsche Gesetzgeber diese Frage im Prozess der Richtlinienumsetzung beurteilt, ist mit größeren oder nur kleineren Anpassungen in der Insolvenzordnung zu rechnen. Denn das deutsche Insolvenzverfahren ist seit jeher geprägt durch eine zeitliche Zweiteilung in ein „vorläufiges“ Insolvenzverfahren (bzw. Insolvenzeröffnungsverfahren) und das sich daran anschließende Hauptinsolvenzverfahren.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob für die Richtlinienumsetzung eine punktuelle Anpassung des „vorläufigen Insolvenzverfahrens“ ausreichend wäre, oder ob ein völlig neues, noch der Insolvenzantragsstellung vorgelagertes Pre-Pack-Verfahren eingeführt werden müsste. Es erscheint zumindest möglich, das Pre-Pack minimalinvasiv in das vorläufige Insolvenzverfahren zu integrieren. Denn bereits jetzt ist es gängige Praxis, dass der Verkauf eines Unternehmens im vorläufigen Verfahren vorbereitet wird – entweder in Form eines Asset-Deals oder alternativ im Wege eines Insolvenzplanverfahrens.

Zudem erfolgt dies regelmäßig unter der Obhut eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder, im Fall von Eigenverwaltungsverfahren, eines vorläufigen Sachwalters. Asset-Deals werden dabei sehr häufig bereits unmittelbar nach Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens unterzeichnet, Insolvenzplanverfahren dauern typischerweise etwas länger.

Pferdefuß bleibt

Die Grundstrukturen, die der Richtlinienentwurf vorsieht, sind dem deutschen Insolvenzrecht also nicht völlig neu. Aber das vorläufige Insolvenzverfahren müsste wohl stärker auf Asset-Deals zugeschnitten werden und sich explizit zum Pre-Pack-Verfahren äußern. Zudem bleibt der Pferdefuß, dass in Deutschland das Insolvenzeröffnungsverfahren zwangsläufig mit einem Insolvenzantrag des Schuldners oder eines seiner Gläubiger beginnt.

Dieser muss zwar nicht unbedingt publik gemacht werden, aber es wird durchaus eine Schwelle überschritten, die rückwärts nur sehr selten zu überwinden ist. Es gibt gute Argumente, die dafür sprechen, dass dies mit der Intention eines im Stillen vorbereiteten, gut planbaren und mit wenig Disruptionen verbundenen Unternehmensverkaufs als Sanierungsinstrument schwer in Einklang zu bringen ist.

Sollte der deutsche Gesetzgeber diese Zweifel im Prozess der Richtlinienumsetzung in nationales Recht teilen, bräuchte es eine der Insol­venzantragstellung vorgelagerte Vorbereitungsphase des Pre-Packs. Das allerdings wäre nicht mehr minimalinvasiv möglich. Eventuell bringen die nächsten Entwürfe der Richtlinie in dieser Frage Klarheit.

*) Joachim Ponseck ist Partner und Tim Hosgör Associate von Baker McKenzie.