Finanzsektor drohen Klimaklagen
Von Moritz Keller und
Sunny Kapoor *)
Banken spielen im Kampf gegen den Klimawandel eine entscheidende Rolle. Die Energiewende und der Weg zur angestrebten Treibhausgasneutralität kann nur durch einen umfassenden Umbau der Wirtschaft gelingen. Ein solcher Umbau ist ohne umfassende Investitionen und Finanzierungen nicht denkbar. Doch der Klimawandel bietet für die Banken und andere Finanzmarktakteure nicht nur neue Betätigungsfelder. Er birgt auch Risiken. Denn mit dem zunehmenden Bewusstsein für den Klimaschutz rücken Umweltorganisationen die Rolle der Finanzierung von emissionsintensiven Projekten und Unternehmen in den Fokus. Dieser Perspektivwechsel könnte Klimaklagen im Finanzsektor befeuern.
Steuernde Rolle
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Kampf gegen den Klimawandel in seinem Beschluss zum Klimaschutzgebot erhebliche Bedeutung eingeräumt. Umweltorganisationen versuchen bereits, im Windschatten des Beschlusses auch zivilrechtlich den Druck auf Unternehmen zu erhöhen. So haben Umweltorganisationen vor einigen Monaten zivilrechtliche Klagen gegen Unternehmen aus dem Automobil- und Energiesektor erhoben, um das Ende der Erdöl- und Erdgasförderung bzw. des Vertriebs von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren gerichtlich durchzusetzen.
In den Niederlanden hat außerdem ein Gericht zuletzt Shell zu einer Änderung der Unternehmensstrategie verurteilt. Die gegen Shell klagenden Umweltorganisationen haben jüngst weitere zivilrechtliche Klimaklagen gegen Unternehmen angekündigt, darunter auch Banken.
Dem Finanzsektor, insbesondere Banken, könnte damit eine Welle an Klimaklagen drohen. So schreiben Umweltorganisationen Banken in ihrer Eigenschaft als Geldgeber von Unternehmen und Projekten eine steuernde Rolle bei der Reduktion von Treibhausgasen zu. Solche Klagen werden sich naturgemäß nicht gegen die durch den Bankbetrieb unmittelbar freigesetzten Emissionen richten, sondern den Fokus auf den gesamten vermeintlichen CO2-Fußabdruck der Bank lenken. Klar ist daher, dass nach den Vorstellungen der Klimaaktivisten die Emissionen aus von den Banken finanzierten Projekten und Unternehmen in den Mittelpunkt rücken.
Das lässt sich anhand der vorliegenden Klimaklagen gegen die Automobilhersteller aufzeigen. Dort behaupten die Kläger, dass den beklagten Unternehmen ein CO2-Budget zur Verfügung stehe. Die Berechnung dieses von ihnen behaupteten Budgets stützen die Kläger wiederum auf die als Scope 3 bezeichnete Nutzungsphase der Fahrzeuge. Dadurch schreiben sie praktisch die durch die Autofahrer verursachten Emissionen den beklagten Unternehmen zu.
Kein abstraktes Szenario
Folgt man dieser Logik, so müssten bei der Ermittlung des gesamten CO2-Fußabdrucks von Banken nicht nur die unmittelbaren Emissionen durch den Kernbetrieb erfasst werden. Es müssten vor allem auch all jene Emissionen einberechnet werden, die in der „Nutzungsphase“ des Investments, sprich von den durch die Bank finanzierten Unternehmen und Projekten, freigesetzt werden.
Dass es sich hierbei nicht um ein bloß abstraktes Risikoszenario handelt, zeigt ein Beschwerdeverfahren, das Umweltorganisationen im Jahr 2017 vor der niederländischen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze gegen eine europäische Bank angestrengt hatten. Die OECD-Leitsätze regeln unter anderem die Beachtung von Umweltstandards sowie die Einrichtung eines Umweltmanagementsystem, das den Rahmen für die Kontrolle der Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf die Umwelt abstecken soll.
Diese Regelung diente den Umweltorganisationen als Einfallstor für die Forderung, dass die Bank ihren gesamten CO2-Fußabdruck erfasst, um den im Pariser Klimaschutzabkommen niedergelegten Reduktionszielen Rechnung zu tragen. Die Ermittlung des CO2-Fußabdrucks sollte ausdrücklich die Emissionen einschließen, die als Folge der von der Bank gewährten Kredite für Unternehmen und Projekte verursacht werden.
Ein Ansatz, der Banken und andere Finanzmarktakteure dazu anhält, derartige Emissionen entlang ihrer gesamten Investitions- und Kreditlinie zu ermitteln, mag besonders klimafreundlich erscheinen. Er stellt die Banken allerdings vor große praktische Herausforderungen. Es stellt sich bereits die Frage, wie die Emissionen der finanzierten Unternehmen und Projekte angesichts der vielfältigen Bankprodukte, der unterschiedlichen Investitionsobjekte sowie der weit verzweigten und meist globalen Verwicklungen aller Beteiligten überhaupt verlässlich erfasst werden können.
Sollte sich ein derart weiter Ansatz zur Ermittlung des CO2-Fußabdrucks durchsetzen, so müssten Banken verstärkt die ökologische Verträglichkeit vor jeder Investmententscheidung prüfen und dokumentieren. Umweltorganisationen vertreten sogar, dass Banken sich aus der Finanzierung von emissionsintensiven Investments (Stichwort: Kohle) gänzlich zurückziehen sollen.
Eine Verantwortung der Banken für Emissionen durch von ihnen finanzierte Unternehmen oder Projekte findet im System des Zivilrechts allerdings keine Stütze. Aus rechtlicher Sicht sollte es bereits an einer Zurechnung der Emissionen zur finanzierenden Bank scheitern. Hinzu kommt, dass es keine Verpflichtung gibt, wonach Banken jede CO2-Emission in der „Nutzungsphase“ ihres Investments ermitteln müssen.
Ebenso wenig existieren einheitliche Regelungen, die die Methode und Reichweite für die Ermittlung von „mittelbaren“ CO2-Emissionen vorschreiben. Dies ist von erheblicher Bedeutung, weil Gerichte in gleich gelagerten Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen können, ob die jeweilige Bank überhaupt die Emissionen ermitteln, welche Methoden sie dabei anwenden und wie weit sie ihre Ermittlungen erstrecken muss.
Ein solches Risiko ist den zivilrechtlichen Klimaklagen der Umweltorganisationen indes immanent, weil sie einen systemischen Bruch darstellen. Die Zuteilung von Emissionsbudgets auf einzelne Sektoren und die Festlegung von Vorgaben im Bereich des Klimaschutzes ist Aufgabe des Gesetzgebers.
Eine Verlagerung dieser Frage auf die Gerichte hätte nicht nur die angesprochene Rechtszersplitterung zur Folge. Sie würde auch einen zivilrechtlichen Verteilungskampf nach sich ziehen, in dem jeder jeden verklagt, um die Emissionsfreiheiten des Prozessgegners einzuschränken, um gleichzeitig eigene Emissionsfreiräume zu erhalten bzw. zu erweitern. Derartige systemische Risiken werden durch Entscheidungen aus anderen Branchen – wie etwa die Entscheidung gegen Shell – verschärft, zeigen diese doch, dass Gerichte bei allen Hürden bereit sind, rechtliches Neuland zu betreten. Umweltorganisationen versuchen, sich diesen Umstand im Rahmen der sogenannten „strategic litigation“ zunutze zu machen und die Entwicklung des Rechts zu beeinflussen.
Ein Perspektivwechsel auf die Emissionen im Bankensektor verschärft darüber hinaus die Klagerisiken in anderen Bereichen. Banken bieten im Bereich erneuerbarer Energien und umweltfreundlicher Projekte immer mehr sogenannte grüne Investmentprodukte an. So ist denkbar, dass sich bei einem als umweltfreundlich beworbenen Projekt zur Herstellung von Autobatterien im Nachhinein erhebliche Emissionslasten bei der Gewinnung von Rohstoffen offenbaren, die die Gesamtumweltbilanz der Investition schmälern.
Greenwashing-Verdacht
In einem solchen Fall könnten sich Anleger hinsichtlich der Umweltfreundlichkeit ihres Investments getäuscht sehen und Schadensersatzansprüche geltend machen. Zugleich könnte der Verdacht von Greenwashing heraufkommen, was – wie das jüngste Beispiel eines Vermögensverwalters zeigt – unter Umständen auch aufsichtsrechtliche Ermittlungen nach sich ziehen kann. Auch hier dürfte es für Kläger schwierig werden, angebliche Ansprüche im Rahmen der Anlageberatung im Instrumentarium des Zivilrechts zu verankern – das Risiko ist dennoch ernst zu nehmen.
*) Dr. Moritz Keller ist Partner und Dr. Sunny Kapoor ist Senior Associate bei Clifford Chance in Frankfurt am Main.