Freie Wahl des Gerichtsstands bei Rechtsstreitigkeiten
Freie Wahl des Gerichtsstands bei Rechtsstreitigkeiten
Urteil des Europäischen Gerichtshofs – Meilenstein im europäischen Vertragsrecht
Von Justus Jansen und Karen Papenfuß *)
Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Gerichtsstandsvereinbarungen sorgt für Aufsehen und eröffnet Vertragspartnern vielfache Gestaltungsmöglichkeiten zur Vereinbarung eines beliebigen Gerichtsstands in den Ländern der Europäischen Union.
Wohl jeder Unternehmer kennt es: Der Vertrag ist unter Dach und Fach, die Vertragsdetails wurden ausgiebig besprochen und es scheint, als könne nichts mehr schiefgehen. Indes kommt es in geschäftlichen Beziehungen mitunter schnell zu Streitigkeiten, die nicht selten auch in handfeste gerichtliche Auseinandersetzungen münden – und dann ist insbesondere auch die Gerichtsstandsvereinbarung von großer Bedeutung.
Heim- oder Auswärtsspiel?
Bei grenzüberschreitenden Vertragsbeziehungen gilt der allgemeine Grundsatz, dass der Vertragspartner an seinem Sitz – und somit womöglich vor einem ausländischen Gericht – zu verklagen ist. Das kann aus der Perspektive einer deutschen Klagepartei durchaus nachteilhafte Konsequenzen, wie die Notwendigkeit zur Übersetzung der Klageschrift, die Hinterlegung einer Prozesskostensicherheit, Aufwand für Reisekosten, hohe Gerichtskosten oder eine lange Verfahrensdauer, nach sich ziehen.
Nahezu reflexartig neigen Vertragsparteien dazu, ihren Heimatgerichtsstand durchzusetzen. Allerdings kann das Urteil eines deutschen Gerichts im außereuropäischen Ausland womöglich nur schwer vollstreckt werden, so dass sich auch ein Sieg vor den deutschen Gerichten am Ende als zahnloser Papiertiger entpuppen kann.
Vor- und Nachteile
Die Wahl des Gerichtsstandes kann also Vor- und Nachteile bergen und die Auswirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung sollten keineswegs unterschätzt werden. Es lohnt sich für Vertragsparteien, schon bei den Vertragsverhandlungen die ersten Weichen für etwaig auftretende streitige Auseinandersetzungen zu stellen.
Rückenwind bekommen sie dabei durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 08.02.2024 (Inkreal s.r.o. vs. Dúha reality s.r.o.). Dem Verfahren lag ein Rechtsstreit zwischen zwei slowakischen Unternehmen zugrunde. Obwohl beide Vertragspartner in der Slowakei ansässig waren, wurde das Gerichtsverfahren auf Grundlage der getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung in der Tschechischen Republik eingeleitet. Die Vertragsbeziehung hatte – mit Ausnahme der getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung – keinerlei Verbindung zu dem Land.
Die europäischen Prozessregeln (Art. 25 EuGVVO (Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen)) knüpfen die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung an das Vorliegen eines Auslandsbezugs der zugrunde liegenden Geschäftsbeziehung. Ein konkreter Auslandsbezug ist gegeben, wenn die Vertragsparteien aus unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten stammen oder die Vertragsdurchführung in einem anderen EU-Mitgliedstaat erfolgt.
Ohne Auslandsbezug wirksam
Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil nun klargestellt, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung auch ohne einen solchen konkreten Auslandsbezug wirksam ist. Die notwendige Auslandsberührung kann bei rein innerstaatlichen Vertragsbeziehungen bereits durch die ausdrückliche Vereinbarung der Zuständigkeit ausländischer EU-Gerichte herbeigeführt werden.
In seiner Entscheidung hat das oberste europäische Gericht betont, dass es bei der Anwendung europäischer Normen neben dem Wortlaut insbesondere auch auf die gesetzliche Zweck- und Zielsetzung der Regelung ankommt. Dabei hat der Europäische Gerichthof die Bedeutung des Grundsatzes der Privatautonomie der Parteien, die Verbesserung der Wirksamkeit von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen sowie die Gewährleistung von Rechtssicherheit im europäischen Rechtsverkehr betont.
Die Anwendbarkeit der neuen Rechtsprechungsgrundsätze des Europäischen Gerichtshofs zur Vereinbarung der Zuständigkeit ausländischer Gerichte der Europäischen Union ohne konkreten Bezug zu diesem Land ist jedoch beschränkt. Sie gelten nicht für Verbraucher-, Arbeits- oder Versicherungsverträge und erstrecken sich auch nicht auf Fälle, in denen die Zuständigkeit der Gerichte von Nicht-EU-Staaten begründet werden soll.
Neue Gestaltungsmöglichkeiten
Aus nationaler Perspektive bedeutet die europäische Rechtsprechung, dass es in Deutschland ansässigen Vertragsparteien – anders als nach nationalem Recht bei rein innerstaatlichen Vertragsbeziehungen – freisteht, einen ausländischen EU-Gerichtsstand zu vereinbaren. Auch bei Konzernsachverhalten könnte die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs neue Gestaltungsmöglichkeiten bieten und die Durchführung des Rechtsstreits in den Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft verlagert werden.
Die Erweiterung des Anwendungsbereichs von Gerichtsstandsvereinbarungen auch bei innerstaatlichen Vertragskonstellationen ist ein Meilenstein im europäischen Vertragsrecht, der mehr Flexibilität bei der Wahl der Zuständigkeit eines Gerichts gewährt und das Potenzial haben könnte, die Rechtslandschaft und den Wettbewerb der Rechtsordnungen innerhalb der EU nachhaltig zu prägen.
*) Dr. Justus Jansen ist Partner von GSK Stockmann und Karen Papenfuß Local Partnerin der Kanzlei.