Bundeswehr-Sonderfonds

Hemmschuh Vergabe­recht?

Bei Beschaffungsvorhaben des Bundes wird oft auf ein zu enges Korsett des Vergaberechts hingewiesen, doch die Regelungen an sich sind sicher nicht der wesentliche Hinderungsfaktor, maßgeblich ist die optimierte Anwendung.

Hemmschuh Vergabe­recht?

Von Annette Rosenkötter*)

Vergangenen Mittwoch war es so weit: Der Vergabesenat des OLG Düsseldorf verhandelte über den Auftrag zur Beschaffung des neuen Sturmgewehres für die Bundeswehr. Wenn man auf den ersten Anstoß der Beschaffung abstellt, geht der Vorgang zurück bis in das Jahr 2015, auch das nun in der zweiten Instanz anhängige Nachprüfungsverfahren läuft schon seit einem knappen Jahr.

Angesichts dessen liegt die Frage nahe, ob das nun bereitgestellte 100-Mrd.-Euro-Vermögen für die Bundeswehr unter diesen Rahmenbedingungen sinnvoll zeitnah zur Bedarfsdeckung verwendet werden kann. Das Korsett des Vergaberechts wird – ähnlich wie bei der Diskussion um den Flughafen BER und die Hamburger Elbphilharmonie – vorrangig als Hinderungsgrund angeführt, dessen Beachtung – von der EU vorgegeben – effiziente Prozesse ausschließt.

In der Tat: Für die Bundeswehr gilt, wie für andere staatliche Stellen gleichermaßen, ein besonderer Rechtsrahmen, der die Beschaffungstätigkeit regelt. Die Grundprinzipien dieses Rechtsbereichs unterscheiden sich allerdings nicht grundlegend von dem, was auch im privatwirtschaftlichen Bereich eine ordentliche Unternehmensführung mit Augenmaß prägt: Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und – nicht zu vergessen: Wirtschaftlichkeit. Diese Prinzipien gelten zu Recht auch bei Beschaffungsvorhaben privater Unternehmen.

Anders ist jedoch in der Tat ein wesentlicher Punkt: Ein privates Unternehmen, das Leistungen einkauft, muss in aller Regel nicht mit einer gerichtlichen Überprüfung der Beschaffungsentscheidung rechnen. Dies ist bei größeren Vergaben anders – und in der Verteidigung geht es oft um sehr großvolumige Verträge. Plakative Beispiele sind neben dem anfangs erwähnten Sturmgewehr die Vergabe des Auftrags über die Kriegsschiffe MKS 180. Aber: Bezogen auf die Zahl der Vergaben und das umgesetzte Volumen ist nur ein absolut nachrangiger Teil der Vergaben von einem Nachprüfungsverfahren betroffen. Der durch das Produkt im Wesentlichen auf die Armeen als öffentliche Kunden beschränkte Abnehmerkreis lässt einen Bieter mehr als einmal überlegen, ob er einen dieser möglichen Kunden tatsächlich verklagt.

Ausnahmeregelungen

In Ausnahmesituationen kennt auch schon das „normale“ Vergaberecht Ausnahmeregelungen. Diese gehen im Extremfall, wenn die Einhaltung auch der kürzesten Fristen für ein wettbewerbliches Verfahren nicht möglich ist, bis zur Gestattung von Direktvergaben. Die Pandemie hat gezeigt, was hier möglich ist. Die Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) erlaubt ebenfalls ein solches erleichtertes Verfahren, in dem der Auftraggeber direkt Unternehmen zur Angebotsabgabe auffordern darf, für den Fall der „Krise“. Krise ist – so definiert die Regelung – jede Situation in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Drittland, in der ein Schadensereignis eingetreten ist, das deutlich über die Ausmaße von Schadensereignissen des täglichen Lebens hinausgeht und dabei Leben und Gesundheit zahlreicher Menschen erheblich gefährdet oder einschränkt, eine erhebliche Auswirkung auf Sachwerte hat oder lebensnotwendige Versorgungsmaßnahmen für die Bevölkerung erforderlich macht.

Auch wenn im allgemeinen Sprachgebrauch der Begriff der Krise bewusst nicht für den Angriffskrieg auf die Ukraine verwendet wird: Rechtlich wäre dies wäre der Ansatzpunkt, um schnell akute Bedarfe decken zu können.

Lange war aufgrund der pau­schalen Feststellung, dass Verteidigung die Kerninteressen des jeweiligen Na­tionalstaates betrifft, das EU-Recht­ außen vor. Maßgeblich war hier bis 2012 also nur der jeweilige national gestaltbare Rechtsrahmen, in Deutschland im Wesentlichen das Haushaltsrecht, welches eine sparsame Mittelverwendung, aber gerade keinen spezifischen Rechtsschutz für unterlegene Unternehmen vorsahen. Im Ergebnis führte dies zu national segmentierten Verteidigungsmärkten. Allerdings: Wenn jedes europäische Land eine hoch spezialisierte Reederei als Hauptlieferant nationaler Streitkräfte mit Aufträgen versorgt, können diese alle einem weltweiten Wettbewerb standhalten? Oder gefährdet es auf Dauer nicht vielmehr nachhaltige Marktstrukturen und die Souveränität Europas im Verteidigungsbereich?

Reaktion auf diese Problemanalyse war das Defence-Package der EU. Dieses wurde in Deutschland u.a. mit der VSVgV, einer Vergaberegelung umgesetzt, die auch den spezifischen Anforderungen von Vergaben im Sicherheits- und Verteidigungs­bereich (u.a. besondere Vertrau­lichkeit, Versorgungssicherheit der Leistung, schnellerer Rechtsschutz) Rechnung tragen soll.

Bereits 2020 wurden gesetzliche Anpassungen zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit beschlossen. Beschaffungen für sogenannte Schlüsseltechnologien (u.a. Elektronische Kampfführung, geschützte/gepanzerte Fahrzeuge, Künstliche Intelligenz), können danach unter eine Ausnahme fallen, die erlauben würde, das EU-Recht außen vor zu lassen. Nachprüfungsverfahren, wie beim Sturmgewehr, würden dann außer in Bezug auf die Frage, ob die Ausnahme zu Recht in Anspruch genommen wurde, nicht zur Verfügung stehen. In diesen Fällen verbliebe es also bei Beschaffungsprozessen des nationalen Haushaltsrechts, die damit gestaltbar sind. Aber wie gestalten?

Dynamik auf allen Ebenen

Mit der Verkündung des zur Verfügung stehenden Sondervermögens ist Dynamik in das Thema Beschaffungsprozesse gekommen; aufgrund der Historie der gescheiterten Reformen in dem Bereich stand dies eigentlich wohl nicht ganz oben auf der Liste der neuen Ministerin. Eine Task Force soll gegründet sein, die die Optimierung der Strukturen jetzt vorantreiben soll. Ressourcen sollen auf große und komplexe Projekte allokiert werden, im Bereich der kleineren Ausrüstungsvergaben soll auf Standardverfahren gesetzt werden.

Dass es nicht an rechtlichen Regelungen, sondern an deren Anwendung liegt, wird nach umfänglichen Untersuchen auf nationaler und auf EU-Ebene zwischenzeitlich für alle Bereiche der Beschaffung weitgehend anerkannt. Selbstverständnis und die Kompetenzen von Beschaffern als öffentlicher Einkaufsspezialisten, nicht als vorrangige Hüter eines Verwaltungsvorganges, sollen „Best Value for Money“ wieder stärker in den Fokus rücken.

Was für „normale“ Vergaben gilt, gilt für die Verteidigungsvergaben mindestens gleichermaßen; hinzukommen die besonderen Rahmenbedingungen der Behördenstrukturen in diesem Bereich, die schon vielfältig erfasst und erörtert wurden.

Die Notwendigkeit zur Optimierung ist schon losgelöst von dem Überfall auf die Ukraine auch auf europäischer Ebene in Arbeit wieder angestoßen worden: Die Europäische Kommission hat bereits am 15.2.2022 eine Reihe von Initiativen im Verteidigungsbereich vorgelegt, darunter einen Fahrplan für kritische Technologien für Sicherheit und Verteidigung. Sie decken das gesamte Spektrum an Herausforderungen ab, von der konventionellen Rüstungsindustrie zu Lande, zu Wasser und in der Luft bis hin zu Cyber-, Hybrid- und Weltraumbedrohungen, militärischer Mobilität und der Bedeutung des Klimawandels. Vor dem Hintergrund verschärfter geopolitischer Rivalitäten müsse die Europäische Union technologisch wettbewerbsfähig bleiben. Auch hier geht es jedoch nicht um Anpassungen der vergaberechtlichen Regelungen, sondern um die Umsetzung. Die Pläne sollen beim geplanten Sondertreffen der Verteidigungsminister am 10. und 11. März 2022 erörtert werden.

Vieles ist angestoßen und vieles bekannt. (Vergabe)rechtliche Regelungen an sich sind sicher nicht der wesentliche Hinderungsfaktor, maßgeblich ist die optimierte Anwendung. Sven Weizenegger, Leiter des Cyber Innovation Hubs der Bundeswehr, einer Innovationseinheit des BWI, erklärte in der Presse jüngst, dass Innovationen den „Sense of Urgency“ brauchten und verwies als Beispiel u.a. auf Israel und Estland, die aus Situationen der Dringlichkeit heraus innovative Lösungen im Verteidigungsbereich und in der Digi­talisierung vorbildhaft umgesetzt haben. Manchmal braucht es Krisen, um Dinge möglich zu machen, die zuvor nicht als möglich erschienen. Es ist zu hoffen, dass dies auch für die Optimierung der Beschaffungsstrukturen für die Verteidigung in Deutschland zutrifft.

*) Dr. Annette Rosenkötter ist Partnerin der Kanzlei FPS.

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